Rz. 514

Seit dem Urteil des BVerfG vom 6.2.2001 und dessen Beschl. v. 29.3.2001[614] ist die Vertragsfreiheit im Ehevertragsrecht erheblich eingeschränkt. Seitdem unterliegen auch Eheverträge der inhaltlichen Kontrolle durch die Gerichte. Diese Rechtsprechung gilt auch für Verträge, die lange vor dieser Rechtsprechung geschlossen wurden. Der vom BVerfG im Jahre 2001 beurteilte Ehevertrag stammte aus dem Jahr 1977.

Inhaltskontrolle von Eheverträgen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs:[615]

[614] BVerfG NJW 2001, 957 u. 2248 = FamRZ 2001, 343 u. 985.
[615] BGH NJW 2018, 1015; BGH FamRZ 2017, 884 = NJW 2017, 1883; BGH FamRZ 2014, 629; BGH FamRZ 2013, 195; BGHZ 158, 81 = NJW 2004, 930 = FamRZ 2004, 601 m. Anm. Borth = ZNotP 2004, 157 = BGHReport 2004, 516 m. Anm. Grziwotz = FPR 2004, 209 = FuR 2004, 119 = FF 2004, 79 = RhNotZ 2004, 150 = NotBZ 2004, 152 = MDR 2004, 573 = JuS 2004, 539. Bestätigt im Beschl. v. 6.10.2004 – XII ZB 110/99, FamRZ 2005, 26 = ZNotP 2005, 27 = NJW 2005, 137 = FamRB 2005, 8 = MDR 2005, 216 = FF 2005, 43 = NotBZ 2005, 73 = DNotI-Report 2004, 210. Zu den Überlegungen für die Praxis vgl. Bergschneider, FamRZ 2004, 1757. Und weitere Bestätigung im Urt. v. 12.1.2005 – XII ZR 238/03, ZErb 2005, 33 = DNotI-Report 2005, 70 und in zwei Urt. v. 25.5.2005, FamRZ 2005, 1444 (sehr lesenswert!) m. Anm. Bergschneider und FamRZ 2005, 1449; BGH, Urt. v. 5.7.2006 – XII ZR 25/04, BGH-Report 2006, 1369; BGH Beschl. v. 17.5.2006, NJW 2006, 2331 = DNotZ 2006, 863 = ZErb 2006, 249 = FamRZ 2006, 1097 m. Anm. Bergschneider. Vgl. auch Löhnig, JA 2008, 897.

a) Die zwei Stufen der Inhaltskontrolle

 

Rz. 515

Die richterliche Inhaltskontrolle wird vom BGH in zwei Stufen vorgenommen:

Erste Stufe: Die Wirksamkeitskontrolle unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB).
Zweite Stufe: Die Ausübungskontrolle unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), falls nicht schon die Wirksamkeitskontrolle zur Nichtigkeit des Vertrages führt.

b) Kernbereichslehre des BGH

 

Rz. 516

Maßgebend ist als Ausgangspunkt für die Kontrolle jeder der beiden Stufen die Wertigkeit des Rechts, auf das verzichtet oder das geschmälert wird. Betroffen ist insofern die objektive Seite. Die Wertigkeit des betroffenen Rechts wird vom BGH im Rahmen seiner Kernbereichslehre in ein Rangverhältnis gebracht. Zum Kernbereich gehören in folgender Rangfolge:

 
Betreuungs unterhalt, § 1570 BGB 1. rangig
Alters unterhalt, § 1571 BGB 2. rangig
Krankheits unterhalt, § 1572 BGB 2. rangig
Versorgungsausgleich = Vorweggenommener Altersunterhalt 2. rangig.

Die Beanstandung im Sinne einer Inhaltskontrolle ist umso eher anzunehmen, je mehr die Vereinbarung in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

Nicht zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts gehört der Zugewinnausgleich. Er ist ehevertraglicher Disposition am weitesten zugänglich (BGH, Urt. v. 12.1.2005 – XII ZR 238/03: "Die Vereinbarung des Wahlgüterstands der Gütertrennung lässt einen Ehevertrag grundsätzlich nicht sittenwidrig erscheinen.").

c) Wirksamkeitskontrolle

 

Rz. 517

Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle ist zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf Inhalt, Beweggrund und Zweck sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und auf die Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen.[616]

Bei Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags gilt der gesetzliche Güterstand mit entsprechenden Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht.[617]

 

Rz. 518

Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle (§ 138 BGB) ist eine Gesamtabwägung aller Umstände vorzunehmen. Maßgebend sind dabei folgende Gesichtspunkte:

"Evident einseitige Lastenverteilung"
"Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe und Umstände ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens."

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle: Abschluss des Ehevertrags.

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