a) Die Verspätung der Aufrechnungserklärung

 

Rz. 176

Zu beachten ist, dass für den Fall, dass die Aufrechnung als verspätet zurückgewiesen wird, diese Entscheidung als Entscheidung über die Aufrechnungsforderung in Rechtskraft erwächst.[121] Die Forderung ist dem Beklagten dann materiell rechtskräftig aberkannt. Er kann diese Forderung nicht mehr in einem neuen Rechtsstreit klageweise geltend machen. Eine solche Klage wäre wegen entgegenstehender Rechtskraft bereits unzulässig.

 

Rz. 177

 

Praxistipp

Weist das Gericht gem. § 139 ZPO auf die Verspätung des Aufrechnungseinwandes hin, so sollte dieser im Prozess zurückgenommen werden, wenn nicht die Aufrechnungsforderung die Klageforderung übersteigt und deshalb eine Widerklage in Betracht kommt. Durch die "Flucht in die Widerklage" kann dann der Verspätungseinwand beseitigt werden. Dies ist auch noch in der Berufungsinstanz zulässig, nachdem die Aufrechnungsforderung in erster Instanz als verspätet zurückgewiesen wurde, soweit die Widerklage in der Berufungsinstanz nach § 533 ZPO möglich ist. Da die Entscheidung über die Aufrechnungsforderung dem Beklagten regelmäßig die Möglichkeit der Berufung gibt, sollte auf diese Weise – wenn auch gegebenenfalls kostenträchtig – die Aufrechnungsforderung "gerettet" werden können.

[121] BGH NJW-RR 1991, 973.

b) Die Aufrechnung im Urkundenprozess

 

Rz. 178

Wird die Aufrechnung im Urkundenprozess geltend gemacht, so kann der Kläger den Beklagten zunächst zwingen, die Aufrechnungsforderung mit Urkunden zu beweisen, wenn er sie bestreitet. Gelingt dies nicht, muss der Beklagte sich seine Rechte für das Nachverfahren vorbehalten (s. hierzu § 9 Rdn 1 ff.).

 

Rz. 179

 

Hinweis

Bestreitet der Kläger die Aufrechnungsforderung allerdings wider besseres Wissen, so setzt er sich der Gefahr eines Schadensersatzanspruches nach § 600 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO aus, wenn sich im Nachverfahren ergibt, dass der Anspruch des Klägers aufgrund der Aufrechnungsforderung unbegründet war und der Beklagte bereits vor der Erhebung der Klage im Urkundenprozess die Aufrechnung erklärt hatte.

 

Rz. 180

Ist der ursprüngliche Bestand der Aufrechnungsforderung unstreitig, hat jedoch der Kläger hiergegen bereits anderweitig die Aufrechnung erklärt, so kann der Beklagte auf diese Weise den Kläger unmittelbar zum Übergang in das Nachverfahren gem. § 596 ZPO zwingen, wenn der Kläger nicht mit Urkunden beweisen kann, dass sein anderweitiger Anspruch bestand und er hiermit gegen die jetzige vermeintliche Aufrechnungsforderung des Beklagten bereits aufgerechnet hat, sodass diese erloschen ist.

c) Die Vorbehaltsentscheidung über die Klage

 

Rz. 181

In prozessualer Hinsicht ist weiter § 145 Abs. 3 ZPO zu beachten. Stehen die Klageforderung und die zur Aufrechnung gestellte Forderung nicht in einem rechtlichen Zusammenhang, so kann das Gericht anordnen, dass über die Klage und über die Aufrechnung getrennt verhandelt wird.[122]

 

Rz. 182

 

Hinweis

Von dieser Möglichkeit wird das Gericht regelmäßig dann Gebrauch machen, wenn die Klageforderung entscheidungsreif ist, während die streitige Aufrechnungsforderung erst im Rahmen einer umfänglichen Beweisaufnahme geklärt werden muss.

 

Rz. 183

 

Praxistipp

Ist der Rechtsstreit über die Klageforderung entscheidungsreif und der Kläger überzeugt, dass sich die Aufrechnungsforderung in der Beweisaufnahme als unberechtigt herausstellen wird, sollte er eine entsprechende Trennung des Verfahrens auch ausdrücklich beantragen, um frühzeitig einen Vollstreckungstitel zu erlangen.

Auf diese Weise kann er dem Beklagten zeitliche Möglichkeiten der Vermögensverschiebung[123] nehmen und das Risiko einer sich verschlechternden Vermögenslage des Beklagten verringern.

 

Rz. 184

Hat das Gericht nach § 145 Abs. 3 ZPO die Verhandlung über die Klageforderung und die Aufrechnungsforderung getrennt, kann es über die entscheidungsreife Klageforderung nach § 302 Abs. ZPO durch ein Vorbehaltsurteil entscheiden. Der Kläger kann dann aus dem Vorbehaltsurteil die Zwangsvollstreckung betreiben.

 

Rz. 185

Der Kläger macht sich allerdings nach § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO schadensersatzpflichtig, wenn das Vorbehaltsurteil aufgrund der durchgreifenden Aufrechnung später aufgehoben und die Klage in dieser Konsequenz abgewiesen wird. Als Schadenspositionen kommen insbesondere Finanzierungskosten oder die Kosten einer Sicherheitsleistung in Betracht.

 

Rz. 186

 

Beispiel

Der Kläger hat eine Forderung in Höhe von 15.000 EUR geltend gemacht, gegen die der Beklagte Einwendungen erhoben hat. Hilfsweise rechnet der Beklagte mit mehreren Forderungen in einer im Einzelnen dargelegten Reihenfolge in Höhe von insgesamt 20.000 EUR auf. Ein rechtlicher Zusammenhang zwischen Klageforderung und den Aufrechnungsforderungen besteht nicht. Das Gericht erachtet die allein rechtlichen Einwendungen des Beklagten gegen die Klageforderung bei sonst unstreitigem Sachverhalt für unbegründet und trennt das Verfahren über die Klageforderung nach § 145 Abs. 3 ZPO ab.

Das Gericht gibt dann der Klage im Wege des Vorbehaltsurteils nach § 302 ZPO statt und behält dem Beklagten die Aufrechnung vor. Der Kläger betreibt nunmehr die Zwangsvollstreckung...

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