Rz. 59

Problematisch ist die Abrechnung, wenn im gerichtlichen Verfahren die Verfahrensgebühr zu unterschiedlichen Sätzen anfällt und sowohl eine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV als auch eine Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG in Betracht kommen. Es stellt sich dann die Frage, ob erst zu kürzen und dann anzurechnen oder ob umgekehrt vorzugehen ist.

 

Rz. 60

Nach fast einhelliger Rspr.[23] ist erst anzurechnen und dann zu kürzen.

 

Beispiel 34: Anrechnung – Nachfolgendes Verfahren mit weiter gehenden Gegenständen

Der Anwalt macht außergerichtlich für den Auftraggeber eine Forderung in Höhe von 15.000,00 EUR geltend und erhebt anschließend auftragsgemäß Klage. Im Termin verhandeln die Parteien auch über weitere nicht anhängige 10.000,00 EUR, allerdings ohne Ergebnis. Außergerichtlich war der Anwalt hinsichtlich dieser 10.000,00 EUR nicht beauftragt gewesen.

Die Geschäftsgebühr ist zu 1,5 aus 15.000,00 EUR entstanden.

Im gerichtlichen Verfahren entsteht die Verfahrensgebühr aus insgesamt 25.000,00 EUR, davon aus 15.000,00 EUR zu 1,3 (Nr. 3100 VV) und aus den weiteren 10.000,00 EUR zu 0,8 (Nr. 3101 Nr. 2 VV), da der Anwalt insoweit lediglich verhandelt hat.

Jetzt ist erst die Geschäftsgebühr auf die 1,3-Verfahrensgebühr anzurechnen und das danach verbleibende Gesamtaufkommen der Verfahrensgebühre(en) gegebenenfalls nach § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen. Dies ergibt folgende Berechnung:

 
I. Außergerichtliche Vertretung
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   1.077,00 EUR
  (Wert: 15.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.097,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   208,43 EUR
Gesamt   1.305,43 EUR
II. Gerichtliches Verfahren
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   933,40 EUR
  (Wert: 15.000,00 EUR)    
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen,   – 538,50 EUR
  0,75 aus 15.000,00 EUR    
3. 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV   491,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
  Zwischensumme Verfahrensgebühren 886,10 EUR  
  die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG,    
  1,3 aus 25.000,00 EUR (1.136,20 EUR),    
  ist nicht überschritten    
4. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   1.048,80 EUR
  (Wert: 25.000,00 EUR)    
5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.954,90 EUR  
6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   371,43 EUR
Gesamt   2.326,33 EUR

Würde man dagegen erst nach § 15 Abs. 3 RVG kürzen und dann anrechnen, ergäbe sich folgende Berechnung im gerichtlichen Verfahren:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV    
  (Wert: 15.000,00 EUR) 933,40 EUR  
2. 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV    
  (Wert: 10.000,00 EUR) 491,20 EUR  
  gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als   1.136,20 EUR
  1,3 aus 25.000,00 EUR    
3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen,   – 538,50 EUR
  0,75 aus 15.000,00 EUR    
4. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   1.048,80 EUR
  (Wert: 25.000,00 EUR)    
5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.666,50 EUR  
6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   316,64 EUR
Gesamt   1.983,14 EUR
 

Rz. 61

Ebenso ist zu rechnen, wenn der Anwalt auch hinsichtlich der weiter gehenden Gegenstände bereits außergerichtlich tätig war.

 

Beispiel 35: Anrechnung – Nachfolgendes Verfahren nur wegen eines Teilbetrages, Verhandlung über Gesamtbetrag

Der Anwalt macht außergerichtlich für den Auftraggeber eine Forderung in Höhe von 15.000,00 EUR geltend. Die außergerichtlichen Verhandlungen scheitern. Der Anwalt erhebt daraufhin auftragsgemäß Klage in Höhe von lediglich 10.000,00 EUR. Im Termin verhandeln die Parteien auch über die nicht anhängigen 5.000,00 EUR, allerdings ohne Ergebnis.

Aus dem Wert der eingeklagten 10.000,00 EUR entsteht die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV zu 1,3. Aus dem Wert der restlichen 5.000,00 EUR entsteht die Verfahrensgebühr dagegen nur zu 0,8 (Nr. 3101 Nr. 2, 2. Alt. VV), da der Anwalt insoweit lediglich verhandelt hat. Fällt – wie hier – sowohl eine 1,3-Verfahrensgebühr als auch eine ermäßigte 0,8-Verfahrensgebühr an, so ist zunächst anzurechnen und hiernach gem. § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen.

 
I. Außergerichtliche Vertretung
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   1.077,00 EUR
  (Wert: 15.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.097,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   208,43 EUR
Gesamt   1.305,43 EUR
II. Gerichtliches Verfahren
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   798,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. 0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV   267,20 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen,   – 538,50 EUR
  0,75 aus 15.000,00 EUR    
4. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   861,60 EUR
  (Wert: 15.000,00 EUR)    
5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.408,50 EUR  
6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   267,62 EUR
Gesamt   1.676,12 EUR

Würde man dagegen erst nach § 15 Abs. 3 RVG kürzen und dann anrechnen, ergäbe sich folgende Berechnung im gerichtlichen Verfahren:

 
II. Gerichtliches Verfahren
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV 798,20 EUR  
  (Wert: 10...

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