Rz. 1

Viele Compliance-Regelungen enthalten den Hinweis, dass im Falle pflichtwidrigen Verhaltens arbeitsrechtliche Sanktionen drohen. Insoweit kommen grundsätzlich Ermahnungen, Abmahnungen oder Kündigungen in Betracht. Überdies kann bei der Feststellung von Compliance-Verstößen aber auch an eine mögliche Versetzung des Arbeitnehmers zu denken sein oder an einen Verlust freiwillig oder variabel geleisteter Vergütungsbestandteile.

Eine Androhung individualarbeitsrechtlicher Konsequenzen ist jedenfalls dann zulässig, wenn sie sich nicht auf die Ahndung von Bagatellverstößen bezieht. Mit einer solchen Androhung weist der Arbeitgeber lediglich auf seine gesetzlichen Rechte zu Abmahnung und Kündigung hin (Schuster/Darsow, NZA 2005, 273, 277), was deswegen als mitbestimmungsfrei zu bewerten ist. Anders läge der Fall, wenn einer solchen Klausel der Charakter einer Betriebsbuße zukäme (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, Betriebsverfassungsgesetz, 30. Aufl. 2020, § 87 Rn 76 ff.; ErfK/Kania, BetrVG, § 87 Rn 22 ff.; tiefergehend: Reinhard, NZA 2016, 1233, 1238).

 

Rz. 2

Umstritten ist aber, ob durch eine Sanktionsklausel im Fall eines ersten Verstoßes eine Abmahnung entbehrlich ist und der Arbeitgeber umgehend eine Kündigung aussprechen kann (Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1392 f.; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4209 f.). Dieses Institut der sogenannten vorweggenommenen Abmahnung, wenn nämlich der Arbeitnehmer die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens aus entsprechenden Hinweisen des Arbeitgebers bereits vor der Vertragsverletzung kannte bzw. kennen musste, lässt das Erfordernis einer Abmahnung dann entfallen, wenn eine konkrete, auf einzelne Pflichten bezogene Sanktionsklausel unter Androhung ebenfalls konkreter arbeitsrechtlicher Konsequenzen in den Compliance-Regelungen enthalten ist. Um die gleichen Folgen auslösen zu können wie eine nachträgliche Abmahnung, muss die vorweggenommene Abmahnung dieselben Grundvoraussetzungen erfüllen und also der Dokumentations-, Rüge- und Warnfunktion genügen (Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 192; vertiefend, mit spezifischen Klauselvorschlägen: Wisskirchen/Schumacher/Bissels, BB 2012, 1473; zustimmend auch Schuster/Darsow, NZA 2005, 273, 276 f.). Die Anforderungen an eine vorweggenommene Abmahnung sind beispielsweise dann nicht erfüllt, wenn die Compliance-Regelungen lediglich den generellen Hinweis enthalten, dass jedwede Verletzung der Regelungen zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung führen kann (Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 192). Von einer solchen pauschalen Formulierung einer Sanktionsklausel ist abzuraten, sofern mit ihr nicht nur eine bloße Sensibilisierung der Mitarbeiter beabsichtigt ist.

 

Rz. 3

Einigkeit besteht, dass eine Sanktionsklausel nicht den Ultima-Ratio-Grundsatz abbedingen kann, sodass eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung wegen Compliance-Verstößen nur bei gravierenden Verstößen möglich ist (Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1392 f.; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4210). Als Compliance-relevante erhebliche Pflichtverletzungen kommen insbesondere Straftaten mit Wirtschaftsbezug in Betracht, darunter vor allem Untreue, Schmiergeldannahme, Insiderhandel und Bestechung/Bestechlichkeit (Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 192). Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung muss die Kündigung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände gerechtfertigt sein (BAG v. 17.5.1984 – 2 AZR 3/83). Dabei können sich auch Compliance-Regelungen auf eine solche Abwägung auswirken. Ein Verhaltenskodex und eine spezifische Compliance-Kultur des Unternehmens können bei der Durchführung einer Interessenabwägung für den Arbeitnehmer insofern nachteilig sein, als dass dieser Kenntnis von dem Umstand hatte, dass sein Arbeitgeber einem bestimmten Verhalten oder der Einhaltung einer besonderen Pflicht einen erheblichen Stellenwert beimisst (Bissels/Lützeler, BB 2012, 189, 192).

 

Rz. 4

Auch im Fall der Wirksamkeit der Sanktionsklausel, besteht im Übrigen für den Arbeitgeber keine Handlungspflicht, sollte er Vertragsverstöße seiner Arbeitnehmer feststellen. Insoweit steht es ihm frei, Maßnahmen zu treffen oder aber untätig zu bleiben. Etwas anderes ergibt sich indes dann, wenn er aufgrund eines Gesetzes verpflichtet ist, Maßnahmen zur Vermeidung der Verstöße zu ergreifen. Eine derartige Verpflichtung wird – abgesehen von der hier kaum relevanten Straftat des § 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) – etwa durch § 12 Abs. 3 AGG statuiert. Dem Arbeitgeber steht allerdings die Entscheidung zu, welche Sanktionen von seiner Seite aus im konkreten Einzelfall erlassen werden (BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06; vgl. Mengel/Hagemeister, BB 2006, 2466, 2468; Schröder/Schreier, BB 2010, 2565).

 

Rz. 5

 

Praxistipp

Die Verhaltenspflichten sollten in den Compliance-Vorgaben eindeutig geregelt werden und dem Mitarbeiter nachweisbar bekannt sein. Dies kann dem Arbeitgeber bei arbeitsgerichtlichen Prozessen wegen einer Abmahnung oder einer Kündigung erhebliche Vorteile brin...

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