Rz. 8

In Verkehrsstrafsachen kann schon eher eine Beiordnung notwendig sein, so vor allem bei Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage. Eine solche liegt z.B. vor, wenn es um schwierige Fragen der Wirksamkeit einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis (LG Zweibrücken DAR 2009, 612) oder darum geht, ob bezüglich einer unter Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO erlangten Blutprobe - oder aus anderen Gründen - ein mögliches Verwertungsverbot besteht (OLG Bremen DAR 2009, 710; OLG Brandenburg NZV 2010, 310; LG Hannover VRR 2017, 15) oder darum, unter welchen Voraussetzungen eine störende Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang eines EG-Fahrtenschreibers den Tatbestand des § 268 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 3 StGB erfüllt (LG Duisburg zfs 2012, 713).

§ 141 StPO bestimmt jetzt, dass je nach Bedeutung der Aussage für eine richterliche Vernehmung dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Eine zur Bestellung zwingende Schwierigkeit kann auch darin liegen, dass keine unmittelbaren Beweise für das Tatgeschehen existieren, so dass der Anklagevorwurf letztlich auf der Würdigung einer Reihe von Indizien beruht, es um "Aussage gegen Aussage" geht (OLG Koblenz VRS 98, 359; OLG Oldenburg DAR 2000, 86; OLG Hamm zfs 2001, 86) oder zur Beurteilung der Aussagen von Polizeizeugen Akteneinsicht notwendig ist (LG Bielefeld Beck RS 2016, 114637), bzw. in Fällen, in denen alle Zeugen - dazu noch selbst betroffene (§ 113 StGB) - Polizeibeamte sind (LG Dortmund NZV 2019, 308).

 

Rz. 9

Eine solche Schwierigkeit ist spätestens auch dann gegeben, wenn komplizierte Gutachten beurteilt werden müssen (LG Stuttgart StraFo 1995, 25; LG Rostock zfs 2001, 236; OLG Hamm zfs 2001, 86).

 

Rz. 10

Eine Pflichtverteidigerbestellung kann auch dann notwendig sein, wenn dem Fahrer der Vorwurf einer fahrlässigen Tötung gemacht wird und sich wegen eines möglichen Mitverschuldens des Opfers schwierige Fragen stellen können (LG Bayreuth StV 1993, 181).

 

Rz. 11

Genauso wenig wird sich ein alkoholabhängiger Angeklagter nach längerem Alkoholmissbrauch sachgerecht verteidigen können, weshalb ihm ebenfalls ein Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen ist (OLG Karlsruhe NZV 1993, 165); das gilt auch dann, wenn die Fähigkeit des Angeklagten, seine Interessen im Strafverfahren ausreichend zu wahren, in Folge einer vorausgegangenen Krankheit (LG Bochum zfs 2003, 470) oder wegen Alters (OLG Hamm NZV 2003, 590) oder infolge einer Lese- und Schreibschwäche (LG Hildesheim NJW 2008, 454) eingeschränkt ist; das gilt selbst dann, wenn nur die Verurteilung zu einer geringfügigen Strafe droht.

Dagegen liegt aber ein Fall notwendiger Verteidigung nicht bereits dann vor, wenn - bei einfacher Sach- und Rechtslage - die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil in Berufung geht (OLG Karlsruhe DAR 2005, 573).

 

Rz. 12

Ist dem Nebenkläger nach §§ 397a, 406 g Abs. 3 S. 4 StPO ein Anwalt beigeordnet worden, kann das dazu führen, dass auch dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist (siehe auch § 140 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 StPO).

 

Rz. 13

Nach überwiegender Rechtsprechung (z.B. LG Stuttgart StraFo 1995, 25) ist sprachunkundigen Ausländern ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn schwierige Alkoholfragen zu beurteilen sind, was z.B. im Grenzbereich zur absoluten Fahrunsicherheit hin der Fall ist. In diesem Zusammenhang ist allerdings nochmals auf die restriktive Haltung des Bundesgerichtshofs hinzuweisen, der in solchen Fällen eher nur einen Anspruch auf unentgeltliche Beiordnung eines Dolmetschers sieht (BGH NJW 2001, 309). Des Weiteren kann eine Verteidigung im Hinblick auf drohende schwerwiegende Nachteile notwendig sein; diese müssen nicht ausschließlich in der unmittelbaren deliktsbezogenen Straferwartung liegen, sondern können - dies gilt auch bei geringfügigen Verkehrsverstößen - darin liegen, dass der Angeklagte bei einer Verurteilung, die zum Führerscheinverlust führenden 8 Punkte erreichen würde und er damit als Berufskraftfahrer den Verlust des Arbeitsplatzes zu erwarten hätte (LG Mainz NZV 2009, 404). Das LG Stuttgart (zfs 2013, 233) ist dagegen der Auffassung, dass ein drohender FE-Verlust kein Fall einer notwendigen Verteidigung ist.

 

Rz. 14

Fälle notwendiger Verteidigung können ansonsten vorliegen, wenn mehr als sechs Monate Freiheitsstrafe zu erwarten sind, vor allem, wenn zusätzlich noch eine längere Führerscheinsperre droht (OLG Bremen NZV 1996, 250). Das gilt auch dann, wenn sich die Strafhöhe erst aus einer mit Rücksicht auf einzubeziehende Strafen zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe ergibt (OLG Hamburg StV 1993, 83). Im Falle einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe besteht regelmäßig Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers (LG Gera StraFo 1999, 308; OLG Frankfurt StV 2001, 106; OLG Hamm StV 2004, 586). Ein Fall der notwendigen Verteidigung ist außerdem dann gegeben, wenn aufgrund einer erneuten Verurteilung mit dem Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe zu rechnen ist, denn der Begriff der Schwere der Tat beurteilt sich hie...

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