Rz. 68

Der Begriff der öffentlichen Urkunde ist in Art. 3 Abs. 1 lit. i EuErbVO legaldefiniert. Erfasst ist danach ein Schriftstück in Erbsachen, das als öffentliche Urkunde in einem Mitgliedstaat förmlich errichtet worden ist, dessen Beweiskraft sich auf den Inhalt der Urkunde samt Unterschrift bezieht und das durch eine Behörde oder eine vom jeweiligen Staat ermächtigte Stelle ausgestellt worden ist. Als "Schriftstück" wird man auch noch ein elektronisches Dokument verstehen können; ob die elektronische Form zulässig ist, entscheidet nicht Art. 59 Abs. 1 EuErbVO, sondern das Formstatut.

 

Rz. 69

Die öffentliche Urkunde ist ein Instrument des lateinischen Notariats und daher nicht in jedem Land bekannt. Unter den Mitgliedstaaten der EuErbVO gibt es in Finnland, Schweden und Zypern keine öffentlichen Urkunden, die in anderen Mitgliedstaaten angenommen werden könnten.[65] Umgekehrt müssen diese Staaten aber als Mitgliedstaaten der Verordnung öffentliche Urkunden aus anderen Mitgliedstaaten nach Art. 59 Abs. 1 EuErbVO annehmen.

 

Rz. 70

Die Urkunde muss eine öffentliche sein, also von einer staatlichen oder staatlich ermächtigten Stelle (z.B. einem Notar) ausgestellt worden sein, woraus sich ihre erhöhte Beweiskraft ableitet. Für Privaturkunden (z.B. eigenhändige Testamente) gilt Art. 59 Abs. 1 EuErbVO nicht. Auch notarielle Beglaubigungen schaffen noch keine Urkunde, denn sie beziehen sich nur auf die Unterschrift, nicht aber auf den Inhalt des Dokuments.

 

Rz. 71

Die Annahme in anderen Mitgliedstaaten erfasst nur Urkunden in Erbsachen. Der Begriff der Erbsache ist ebenso zu verstehen wie in Art. 4 EuErbVO. Typische Urkunden sind das notarielle Testament und der Erbvertrag, aber auch etwa ein notarieller Auseinandersetzungsvertrag wäre erfasst. Ein Erbe kann somit beispielsweise ein niederländisches notarielles Testament nach § 35 Abs. 1 S. 2 GBO dem deutschen Grundbuchamt als Nachweis der Erbfolge vorlegen; ihm kommen dann die Beweiswirkungen des Art. 59 Abs. 1 EuErbVO zugute. Urkunden in Erbsachen sind ferner die Erklärung der Ausschlagung der Erbschaft oder ein notarielles Nachlassverzeichnis. Auch ausländische Erbnachweise sind Urkunden in diesem Sinne; da sich die Wirkungserstreckung aber nur auf den Urkundenmantel und nicht auf den Inhalt bezieht (siehe Rdn 66), folgt hieraus nicht etwa, dass diese im Inland zum Nachweis der darin ausgewiesenen Erbfolge taugen.[66]

 

Rz. 72

Dagegen sind familienrechtliche Urkunden oder sonstige Schriftstücke ohne erbrechtlichen Hintergrund (z.B. Prozessvollmachten) nicht von Art. 59 Abs. 1 EuErbVO umfasst. Keine Anwendung findet Art. 59 EuErbVO außerdem auf Personenstandsurkunden wie Geburts-, Heirats- oder Todesurkunden, auch soweit diese in einem Erbverfahren Verwendung finden sollen.[67] Der Personenstand ist in Art. 1 Abs. 2 lit. a EuErbVO vom Anwendungsbereich der EuErbVO ausgenommen.

 

Rz. 73

Ausstellender Staat muss ein anderer Mitgliedstaat der Verordnung sein. Dies ist nicht bezogen auf den Ausstellungsort zu verstehen, sondern auf die Ableitung der hoheitlichen Macht, welche die Urkunde zu einer öffentlichen macht. Erlaubt also ein Mitgliedstaat seinen Notaren, auch im Ausland – etwa in Überseegebieten – zu beurkunden, handelt es sich für diese Zwecke um eine mitgliedstaatliche Urkunde.[68] Art. 59 Abs. 1 EuErbVO greift offenkundig nicht ein für Urkunden, die in ihrem eigenen Ursprungsland verwendet werden sollen. Für solche Inlandsurkunden gilt das jeweilige nationale Verfahrensrecht, in Deutschland also §§ 415, 437 ZPO. Allein nach nationalem Verfahrensrecht richtet sich auch die Berücksichtigung von Urkunden aus Drittstaaten; regelmäßig wird hier ein Echtheitsnachweis in Form der Legalisation oder die Anbringung einer Apostille notwendig sein (§ 438 ZPO).

[65] Buschbaum, in: FS Martiny, S. 259, 265; Geimer, in: Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 147.
[66] NK-BGB/Makowsky, Bd. 6, 2. Aufl. 2015, Art. 59 EuErbVO Rn 4; Lechner, DNotZ 2016, 102, 109. Dagegen ordnet MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, Art. 59 EuErbVO Rn 5 die Erbnachweise als Entscheidungen i.S.d. Art. 39 ff. EuErbVO ein und hält die dortigen Regelungen für vorrangig vor der Urkundsannahme.
[67] Geimer, in: Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 148; Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 9; Franzmann/Schwerin, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 4.
[68] Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 22.

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