Rz. 65

Art. 59 EuErbVO bringt erhebliche Erleichterungen für den freien Urkundsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Danach hat eine in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde in den anderen Mitgliedstaaten die gleiche formelle Beweiskraft wie in ihrem Ursprungsstaat oder zumindest die damit am ehesten vergleichbare Wirkung (Abs. 1). Wie Art. 74 EuErbVO ausdrücklich feststellt, ist eine Legalisation oder Apostille für mitgliedstaatliche Urkunden nicht mehr erforderlich. Unter Umständen kann der Urkundsinhaber im Ursprungsland ein Formblatt erhalten, worin die Wirkungen der Urkunde für die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten beschrieben werden (Abs. 1 UAbs. 2). Einwände gegen die Authentizität der Urkunde können ausschließlich bei den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates erhoben werden (Abs. 2). Die Vorschrift erhöht die Zirkulationsfähigkeit der Urkunden, reduziert bürokratische Hürden und dient damit letztlich der Freizügigkeit von Unionsbürgern. Diese können die Urkunden aus ihrem bisherigen Aufenthaltsstaat so leichter an ihrem neuen Aufenthaltsort verwenden (ErwG 22).

 

Rz. 66

Freilich ist diese Wirkungserstreckung nicht unbegrenzt, sondern umfasst nur die formelle Beweiskraft der öffentlichen Urkunde. Was die Wirksamkeit des beurkundeten Vorgangs selbst angeht, so stellen Abs. 3 und Abs. 4 der Vorschrift klar, dass diese weiterhin nach den allgemeinen Regelungen zu überprüfen ist. Dasselbe gilt für die Formwirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Die Wirkung des Art. 59 EuErbVO erfasst also nur den Urkundenmantel (das instrumentum), nicht ihren materiellrechtlichen Inhalt (das negotium).[63]

 

Rz. 67

Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens war diskutiert worden, die Wirkungserstreckung auch auf den materiellrechtlichen Inhalt auszudehnen.[64] Dies hätte zur Folge gehabt, dass etwa ein deutsches Gericht die Wirksamkeit eines von einem spanischen Notar beurkundeten Testaments nicht mehr hätte überprüfen dürfen. Man war sich allerdings einig, dass ein solches materiellrechtliches Anerkennungsprinzip zu weit gehen würde. Dies folgt schon daraus, dass die Urkundsperson die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts oft gar nicht abschließend geprüft hat, etwa weil sie sich ohne eigene Sachverhaltserforschung auf den Vortrag der Parteien verlassen durfte oder weil sie die Wirksamkeit bei ausländischem Errichtungsstatut nicht zu prüfen brauchte (§ 17 Abs. 3 S. 2 BeurkG). Sprachlich kommt diese Differenzierung jetzt dadurch zum Ausdruck, dass Art. 59 Abs. 1 EuErbVO von der "Annahme" der ausländischen Urkunde spricht und nicht etwa von der "Anerkennung", die allein gerichtlichen Entscheidungen vorbehalten ist.

[63] Geimer, in: Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 146; Mansel, FS Kohler, S. 302.
[64] Vgl. Geimer, in: Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 143 ff.; Mansel, FS Kohler, S. 306 f.; Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 5 f.; Franzmann/Schwerin, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2016, Art. 59 EuErbVO Rn 7 f.

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