Rz. 41

Prorogation, Zuständigkeitsanerkennung und rügeloses Einlassen erfordern jeweils eine Kooperation unter den Betroffenen. Diese wird sich aber oftmals nicht realisieren lassen, da im Erbfahren – anders als etwa im Vertragsrecht – nicht nur zwei, sondern regelmäßig eine Vielzahl von Parteien mit gegensätzlichen Interessen beteiligt sind. Es ist daher wahrscheinlich, dass die letzte von der EuErbVO vorgesehene Variante, den Rechtsstreit vor die Heimatgerichte des Erblassers zu bringen, in der Praxis die höchste Bedeutung erlangen wird, nämlich der einseitige Antrag eines Beteiligten nach Art. 6 lit. a i.V.m. Art. 7 lit. a EuErbVO.

 

Rz. 42

Voraussetzung ist hier – wie in den vorangegangenen Fällen – zunächst eine Rechtswahl des Erblassers nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO zugunsten seines mitgliedstaatlichen Heimatrechts. Des Weiteren muss bereits ein Gericht auf der Basis von Art. 4, 10 EuErbVO mit der Sache befasst sein. Ein Beteiligter kann nicht unmittelbar ohne Prorogation das Heimatgericht des Erblassers anrufen, selbst wenn sehr wahrscheinlich ist, dass das Aufenthaltsgericht die Sache nach Art. 6 lit. a EuErbVO abgeben würde.

 

Rz. 43

Schließlich muss ein Beteiligter am Verfahren den Antrag stellen, dass dieses Gericht sich für unzuständig erklären möge. Das Gericht kann sich also nicht aus eigener Kraft der Sache entledigen, sondern der Anstoß muss stets von einem Beteiligten ausgehen. Wohl aber kann ein deutsches Gericht nach § 139 ZPO bzw. § 28 FamFG einen Hinweis geben, dass ein solcher Antrag möglich ist. Art. 6 lit. a EuErbVO enthält keine näheren Angaben dazu, bis wann der Antrag auf Unzuständigkeitserklärung gestellt werden kann. Offenbar ist der Antrag also auch jederzeit während des laufenden Verfahrens möglich, selbst nachdem der Antragsteller sich zur Sache eingelassen hat.[42]

 

Rz. 44

Das Aufenthaltsgericht entscheidet nach pflichtgebundenem Ermessen, ob es sich zugunsten des Heimatgerichts für unzuständig erklärt. Dabei hat es abzuwägen, ob die Gerichte des Mitgliedstaates des gewählten Rechts in der Erbsache besser entscheiden können (Gedanke des forum non conveniens).[43] In diese Abwägung fließen alle konkreten Umstände des Verfahrens ein, die EuErbVO nennt beispielhaft den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien und den Ort, an dem die Vermögenswerte belegen sind. Zu berücksichtigen sind auch der bereits erreichte Verfahrensstand, die Folgen eines Forumswechsels für die Begünstigten, die Pflichtteilsberechtigten, eventuell die Fernwirkungen auf die Nachlassgläubiger und selbst der mutmaßliche Wille des Erblassers.[44] Weisen die Sachverhaltsverbindungen in unterschiedliche Staaten – was oft der Fall sein wird –, muss der Richter eine interessengerechte Abwägung treffen. Dafür müssen die Verfahrensbeteiligten vorher angehört werden. Es können dann z.B. die Sprachkenntnisse der Betroffenen eine Rolle dafür spielen, ob ihnen ein Verfahren vor einem ausländischen Gericht zuzumuten ist, ferner die Reisewege und die voraussichtliche Dauer eines neuen Verfahrens.

 

Rz. 45

Kein Grund für eine Unzuständigkeitserklärung ist der Wunsch des Gerichts, einen Erbrechtsfall nicht nach einem ausländischen Recht entscheiden zu müssen. Der Verordnungsgeber hat gerade den bloßen Gleichlauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht nicht als Rechtfertigung ausreichen lassen, sondern verlangt darüber hinaus weitere Voraussetzungen. Dennoch werden die Gerichte möglicherweise bei der Beurteilung, ob ein ausländisches Gericht sachnäher entscheiden könnte, großzügige Maßstäbe anlegen, um sich so die aufwändige Prüfung ausländischen Rechts zu ersparen. Nach Art. 6 lit. a EuErbVO ist auch keine qualifizierte größere Sachnähe erforderlich, etwa dass die Gerichte des anderen Staates "eindeutig besser" entscheiden könnten; offenbar reicht eine leicht überwiegende Zweckmäßigkeit bereits aus.

 

Rz. 46

Jedenfalls dann, wenn das anwendbare ausländische Erbrecht verfahrensspezifische Besonderheiten aufweist, die der inländische Richter nicht ohne Weiteres erfüllen kann, sollte er sich regelmäßig für unzuständig erklären. Das wird bei einem deutschen Gericht etwa dann der Fall sein, wenn das Erbstatut keine Universalsukzession kennt, sondern das Erbe durch gerichtliche Entscheidung an die Erben zugewiesen wird, wie dies etwa bei der "Einantwortung" im österreichischen Recht der Fall ist. Das Gleiche gilt, wenn die Erbabwicklung durch einen vom Gericht zu bestellenden "administrator" durchzuführen ist, was unter den Mitgliedstaaten in Zypern vorgesehen ist. Die Gerichte im Heimatstaat sind dann besser in der Lage, die entsprechenden prozessualen Schritte einzuleiten und die Einhaltung der Verfahrensregeln zu überwachen.

 

Rz. 47

Wie die Erklärung der Unzuständigkeit nach Art. 6 lit. b EuErbVO im Falle einer Gerichtsstandsvereinbarung, so bindet auch die ermessensabhängige Erklärung der Unzuständigkeit nach Art. 6 lit. a EuErbVO die Gerichte des Heimatstaates des Erblassers. Diese haben keine Prüfungskompetenz, die Wirksamkeit der Rechtswahl ode...

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