Rz. 88

Anerkennungsfähig sind Entscheidungen, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind. Der Begriff der Entscheidung wird in Art. 3 Abs. 1 lit. g EuErbVO näher umschrieben. Es gilt ein weites Verständnis, nach der jede Entscheidung eines staatlichen Gerichts i.S.v. Art. 3 Abs. 2 EuErbVO in einer Erbsache gemeint ist, einschließlich etwa eines Kostenfestsetzungsbeschlusses. Unerheblich ist, ob die Entscheidung im streitigen Verfahren oder in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangen ist (ErwG 59).

 

Rz. 89

Keine Entscheidung in diesem Sinne ist das Europäische Nachlasszeugnis. Dieses wirkt nach Art. 69 Abs. 1 EuErbVO unmittelbar in den Mitgliedstaaten, ohne dass es hierfür einer eigenen Grundlage für eine Anerkennung bedarf. Ob dagegen nationale Erbscheine aus anderen Mitgliedstaaten der Verordnung "Entscheidungen" darstellen, die nach Art. 39 EuErbVO anzuerkennen wären, ist sehr umstritten.[85] Der EuGH hat hierzu nun Stellung bezogen. Danach liegt jedenfalls dann keine "Entscheidung" vor, wenn der Erbschein von einem Notar nur auf einstimmigen Antrag aller Erben ausgestellt wird. Der Notar nähme in diesem Falle nämlich keine gerichtliche, also streitentscheidende Funktion wahr.[86]

 

Rz. 90

Die Anerkennung einer Entscheidung bedeutet nichts anderes als die Erstreckung ihrer Wirkungen ins Inland. Die Entscheidung entfaltet also im Anerkennungsstaat dieselben Wirkungen wie im Ursprungsstaat. Das Recht des Gerichts, welches die Entscheidung erlassen hat, bestimmt also etwa über die Rechtskraft der Entscheidung, ihre Gestaltungswirkung und die Wirkung gegenüber Dritten.[87]

 

Rz. 91

Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten werden ipso iure anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Anerkennungsverfahrens bedarf (Art. 39 Abs. 1 EuErbVO). Dies gilt etwa für die inzidente Anerkennung im Rahmen eines anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens. Hier muss die mit der Sache befasste Stelle selber prüfen, ob sie eine zuvor ergangene Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat beachten muss. Diese Prüfung braucht sie aber nicht von Amts wegen durchzuführen, sondern, wie sich aus Art. 48 EuErbVO ergibt, nur auf Einwendung einer beteiligten Partei.[88]

[85] Befürwortend: MüKo-BGB/Dutta, 7. Aufl. 2018, Art. 3 EuErbVO Rn 17. Ablehnend: Weber, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 39 EuErbVO Rn 21; Franzmann/Schwerin, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2016, Art. 39 EuErbVO Rn 7; NK-BGB/Makowsky, Bd. 6, 2. Aufl. 2015, Art. 39 EuErbVO Rn 5.
[86] EuGH, Urt. v. 23.5.2019 – Rs C-658/17. Zum Vorabentscheidungsersuchen schon Dörner, DNotZ 2018, 661 ff.
[87] Dörner, DNotZ 2018, 661, 665; Weber, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 39 EuErbVO Rn 14 ff.
[88] BeckOGK/J. Schmidt, 1.12.2018, EuErbVO Art. 40 Rn 8, 29 ff.; Weber, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 40 EuErbVO Rn 3. Für eine Prüfung von Amts wegen Rauscher/Hertel, EuZPR/EuIPR, 4. Aufl. 2016, Art. 40 EuErbVO Rn 3.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge