Rz. 49

BGH, Beschl. v. 11.3.2008 – VI ZR 75/07, zfs 2008, 373 = VersR 2008, 701

Zitat

BGB § 828 Abs. 2

Fährt ein Kind mit einem Fahrrad gegen ein mit geöffneten hinteren Türen am Fahrbahnrand stehendes Fahrzeug, entfällt seine Haftung nach § 828 Abs. 2 BGB

 

Rz. 50

Die rechtliche Beurteilung

Eine teleologische Reduktion des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB ist nur dann vorzunehmen, wenn sich keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Hiernach hat der Senat das Haftungsprivileg verneint in Fällen, in denen Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickbord oder Fahrrad gegen ein ordnungsgemäß geparktes Kraftfahrzeug gestoßen sind und dieses beschädigt haben (vgl. Senatsurt. BGHZ 161, 180; v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03, VersR 2005, 380 und v. 21.12.2004 – VI ZR 276/03, VersR 2005, 378).

 

Rz. 51

Aus den Senatsentscheidungen ergibt sich auch, dass bei dem Haftungsprivileg nicht grundsätzlich zwischen dem fließenden und dem ruhenden Verkehr zu unterscheiden ist, wenn es auch im fließenden Verkehr häufiger als im sogenannten ruhenden Verkehr eingreifen mag. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich in besonders gelagerten Fällen auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen kann (vgl. Senatsurt. BGHZ 161, 180, 185 und v. 21.12.2004 – VI ZR 276/03, a.a.O., jeweils m.w.N.). Zudem ergibt sich aus den Senatsurteilen, dass auf eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr abzustellen ist. Darauf, ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten, kommt es nicht an. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber diese Fallgestaltungen einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motorisierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl. Senatsurt. v. 14.6.2005 – VI ZR 181/04, VersR 2005, 1154, 1155; v. 17.4.2007 – VI ZR 109/06, VersR 2007, 855, 856 = BGHZ 172, 83; v. 16.10.2007 – VI ZR 42/07, VersR 2007, 1669, 1670).

 

Rz. 52

Das Berufungsgericht hatte diese Grundsätze beachtet und im Ergebnis richtig entschieden, so dass die Revision keine Aussicht auf Erfolg hatte.

 

Rz. 53

Die Instanzgerichte hatten zu Recht schon aufgrund des Klägervortrags eine typische Überforderungssituation für die Beklagte bejaht. Im Unterschied zu den Fallgestaltungen, bei denen der erkennende Senat das Eingreifen des Haftungsprivilegs verneint hat, konnte man unter den hier gegebenen Umständen schon nicht davon ausgehen, dass der Kläger sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt hatte. Dem stand entgegen, dass die hinteren Türen auf der Fahrer- und der Beifahrerseite zum Zeitpunkt der Kollision offen standen und sich unstreitig sowohl der Kläger als auch der Zeuge E. an den geöffneten Türen befunden und sich bewegt haben. Dies schuf eine besondere Gefahrenlage für das als Verkehrsteilnehmer auf der Straße fahrende Kind. Da es zudem erst 20 m vor diesem Fahrzeug aus einer anderen Straße eingebogen war, lag insgesamt eine typische Fallkonstellation der Überforderung eines Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr vor.

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