1. Allgemeines

 

Rz. 21

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der pflichtteilsberechtigte Erbe seinen vollen Pflichtteilsanspruch verliert, wenn er die Erbschaft ausschlägt, ist diejenige der so genannten taktischen Ausschlagung. Hier werden drei verschiedene Möglichkeiten unterschieden: die Ausschlagung des Erbes nach § 2306 BGB, die Ausschlagung des Vermächtnisses nach § 2307 BGB und die Ausschlagung der Zuwendung (Erbe oder Vermächtnis) durch den im gesetzlichen Güterstand verheirateten Ehegatten nach § 1371 Abs. 3 BGB.

2. "Taktische" Ausschlagung des Erben nach § 2306 Abs. 1 BGB

 

Rz. 22

Der pflichtteilsberechtigte Erbe hat nach § 2306 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen und seinen Pflichtteil zu verlangen, wenn sein Erbteil mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastet ist.[30] Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechtes reformiert. Vor Inkrafttreten des Gesetzes konnte der beschwerte pflichtteilsberechtigte Erbe nur dann ausschlagen, wenn sein Erbteil die Hälfte der gesetzlichen Erbquote überstieg. War dies nicht der Fall, galten die Beschränkungen und/oder Beschwerungen als nicht angeordnet. Eine dennoch erfolgte Ausschlagung führte zum Verlust des Pflichtteilsanspruches.

 

Hinweis

Die Wirkungen der Erbausschlagung "aus allen Berufungsgründen" im Hinblick auf den Pflichtteilsanspruch sind im Einzelfall festzustellen. Das in § 2306 Abs. 1 BGB eingeräumte Wahlrecht besteht nur dann, wenn alle dem Erben hinterlassenen Erbteile, also sowohl der Erbteil aufgrund letztwilliger Verfügung als auch der Erbteil kraft gesetzlicher Erbfolge, mit Beschränkungen und Beschwerungen verbunden sind.[31]

 

Rz. 23

Der Erbteil kann durch die Anordnung eines Vermächtnisses oder einer Auflage belastet sein. Die Beschränkungen können in der Einsetzung eines Nacherben, der Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder der Anordnung einer Teilungsanordnung bestehen. Die Einsetzung des Pflichtteilsberechtigten als Nacherbe steht einer Beschränkung der Erbeinsetzung gleich (§ 2306 Abs. 2 BGB). Die Vorschrift des § 2306 Abs. 2 BGB findet sowohl für die Fälle der befristeten Nacherbeneinsetzung als auch für die der aufschiebend bedingten Nacherbschaft Anwendung.[32] Die Aufzählung in § 2306 Abs. 1 BGB ist abschließend, eine Ausdehnung auf andere Tatbestände ist abzulehnen.[33]

 

Hinweis

Unterlässt der Pflichtteilsberechtigte bei einem ihm belastenden Vermächtnis (i.R.d. § 2306 Abs. 1 BGB) die Ausschlagung, so muss er die Erfüllung des Vermächtnisses auf Kosten seines Pflichtteils dulden.[34]

[30] Zum Ausschlagungsrecht beim Behindertentestament Joussen, ZErb 2003, 134; Ivo, ZErb 2004, 174.
[32] OLG Köln ZEV 2015, 280.
[33] Palandt/Weidlich, § 2306 Rn 3.
[34] Vgl. Keim, ZEV 2003, 358; OLG Celle ZEV 2003, 365.

3. Ausschlagungsrecht des Vermächtnisnehmers

 

Rz. 24

Das Ausschlagungsrecht des Vermächtnisnehmers ist in § 2307 BGB geregelt. § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt das allgemeine Ausschlagungsrecht des Vermächtnisnehmers und darüber hinaus in § 2307 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB die Anrechnungspflicht des nicht ausschlagenden Vermächtnisnehmers im Hinblick auf den Restpflichtteil. § 2307 BGB findet auch auf das Untervermächtnis und auf befristete und bedingte Vermächtnisse (z.B. Vor- und Nachvermächtnis) Anwendung.[35] Erhält der Pflichtteilsberechtigte neben dem Vermächtnis noch einen Erbteil, so schließt das die Anwendung des § 2307 BGB nicht aus. Nach § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB hat der mit einem Vermächtnis bedachte Pflichtteilsberechtigte nur dann den Anspruch auf den vollen Pflichtteil, wenn er das Vermächtnis ausschlägt.[36] Nimmt er das Vermächtnis an und ist dies geringer als der Pflichtteil, so kann er lediglich den Restpflichtteil verlangen (§ 2307 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB). Ist das Vermächtnis größer, so entfällt der Pflichtteil ganz.

 

Rz. 25

Gemäß § 2307 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB sind Beschränkungen und Beschwerungen (z.B. ein Untervermächtnis) nicht in Ansatz zu bringen. Die Vorschrift stellt klar, dass der Vermächtnisnehmer die Beschränkung oder Beschwerung erfüllen muss, wenn er das Vermächtnis angenommen hat. Eine dem § 2306 BGB entsprechende Regelung sieht § 2307 BGB nicht vor. Will der Pflichtteilsberechtigte die damit verbundenen Risiken umgehen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Vermächtnis auszuschlagen.[37]

[35] Vgl. zur Problematik der Anrechnung von Nachvermächtnissen BGH ZErb 2001, 22.
[36] BGHZ 80, 263, 265.
[37] Damrau/Tanck/Riedel, § 2307 Rn 17.

4. Ausschlagungsrecht des Ehegatten nach § 1371 Abs. 3 BGB

a) Allgemeines

 

Rz. 26

Die "taktische" Ausschlagungsmöglichkeit des Ehegatten nach § 1371 Abs. 3 BGB besteht nicht nur bei einer Einsetzung des Ehegatten zum Erben oder Vermächtnisnehmer durch Verfügung von Todes wegen, sondern auch dann, wenn es bei der gesetzlichen Erbfolge verbleibt. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den vorgenannten Ausschlagungsmöglichkeiten. Wurde dem Ehegatten sowohl ein Vermächtnis als auch ein Erbteil zugewendet, so muss er allerdings beides ausschlagen.[38]

[38] Palandt/Brudermüller, § 1371 Rn 18.

b) Wahlmöglichkeiten des überlebenden Ehegatten

 

Rz. 27

Wird der überlebende Ehegatte gesetzlicher Miterbe, dann kann er es hierbei belassen mit der Folge, dass...

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