Rz. 79

Das Anrechnungsverfahren vollzieht sich dergestalt, dass der Wert der Zuwendung dem Nachlasswert hinzugerechnet und ein sog. Anrechnungsnachlass gebildet wird. Anschließend wird der Vorempfang von dem aus dem Anrechnungsnachlass bestimmten Pflichtteil in voller Höhe abgezogen. Im Gegensatz zur Bildung des Ausgleichungsnachlasses wird der Anrechnungsnachlass nicht durch Hinzurechnung aller anrechnungspflichtigen Zuwendungen gebildet, sondern für jeden Pflichtteilsberechtigten, der eine anrechenbare Zuwendung erhalten hat, wird eine gesonderte Berechnung durchgeführt.[124] Es kommt hier auch nicht wie bei der Ausgleichung zu einem Abzug des Ehegattenanteils.

 

Rz. 80

Nach der Bildung des Anrechnungsnachlasses ist der gesetzliche Erbteil des Pflichtteilsberechtigten unter Berücksichtigung von § 2310 BGB und § 1371 BGB zu ermitteln und daraus der sog. Anrechnungspflichtteil zu bestimmen. Von dem so ermittelten Anrechnungspflichtteil ist die Zuwendung abzuziehen, die dem realen Nachlass ursprünglich hinzugerechnet wurde.

 

Rz. 81

Gemäß § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB ist auch bei der Anrechnung auf den Pflichtteil der Wert der Zuwendung zum Zeitpunkt des Empfangs maßgeblich,[125] sofern der Erblasser bei der Zuwendung nicht bestimmt hat, dass der Wert im Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich sein soll.[126] Bei der Ermittlung des Werts ist die Geldentwertung bzw. der Kaufkraftschwund zu berücksichtigen. Der Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Zuwendung ist auf den Zeitpunkt des Erbfalls hochzurechnen. Für die Bemessung des Kaufkraftschwundes ist der Lebenshaltungskostenindex heranzuziehen.[127] Es besteht aber grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass der Erblasser einen bestimmten Wert vorgibt oder bspw. die Berücksichtigung des Lebenshaltungskostenindex ausschließt. Die Anrechnung auf den Pflichtteil vollzieht sich im Einzelnen unter Berücksichtigung des Lebenshaltungskostenindex wie folgt.

 

Beispiel

Der verwitwete Erblasser E verstirbt 2004 und hinterlässt die Abkömmlinge K1 und K2. E hat K1 testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt. K2 hatte von E bereits 1984 ein Vorempfang im Wert von 20.000 EUR erhalten mit der Bestimmung, dass sich K2 den Wert auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen muss. Der Wert des Nachlasses beträgt 500.000 EUR. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch von K2?

Lösung

Es ist nun zunächst der Anrechnungsnachlass zu bilden, indem die Vorempfänge des K2 (inflationsbereinigt) zum realen Nachlass hinzuaddiert werden:

 
Tatsächlicher Nachlasswert 500.000,00 EUR
Bildung des fiktiven Nachlasses 20.000,00 EUR
dividiert durch 68,4 und multipliziert mit 98,5[128] 28.801,17 EUR
ergibt einen Anrechnungsnachlass von 528.801,17 EUR

Die Pflichtteilsquote von K2 beträgt ¼. Von dem so errechneten Anrechnungspflichtteil ist der Vorempfang abzuziehen:

 
¼ Pflichtteilsquote 132.200,29 EUR
abzüglich Vorempfang 28.801,17 EUR
ergibt einen Pflichtteil von 103.399,12 EUR
[124] Palandt/Weidlich, § 2315 Rn 7; MüKo/Lange, § 2315 Rn 11.
[125] Maßgebend ist hierbei auch der Wert zum Zeitpunkt der Vornahme der Leistung, nicht aber zur Zeit des Leistungsversprechens. Bei Grundstücken ist dies der Tag der Eintragung ins Grundbuch BGH NJW 1975, 2292.
[126] OLG Nürnberg ZEV 2006, 361.
[127] BGH NJW 1975, 2292; BGHZ 61, 385.
[128] Indexzahlen 2005 = 100: Abgedruckt in Palandt/Brudermüller, § 1376 Rn 31.

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