Rz. 66

Ist der Pflichtteilsberechtigte nicht enterbt, wurde er aber vom Erblasser nicht zureichend bedacht, weil der Wert des ihm hinterlassenen Erbteils die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils nicht erreicht, so kann er nach § 2305 BGB den so genannten Restpflichtteil verlangen. Der Pflichtteilsrestanspruch, auch Zusatzpflichtteil genannt, greift also bei einer unzureichenden testamentarischen Zuwendung an den Pflichtteilsberechtigten ein. Der Berechtigte kann die Differenz zwischen dem Erlangten und dem ihm zustehenden ordentlichen Pflichtteil verlangen. Seit der Änderung von § 2306 BGB im Zuge der Erbrechtsreform 2010 kommt es für die Anwendung des § 2305 BGB nicht mehr darauf an, ob der dem Pflichtteilsberechtigten zugewendete Erbteil im Sinne des § 2306 BGB belastet ist. Maßgeblich für die Anwendung ist aber weiterhin, dass der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil wertmäßig hinter der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils zurückbleibt. Insoweit stellt § 2305 Abs. 2 BGB ausdrücklich klar, dass bei der Berechnung des Wertes des hinterlassenen Erbteils Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 BGB bezeichneten Art unberücksichtigt bleiben. Das führt dazu, dass der hinterlassene Erbteil auch bei Annahme weiterhin belastet bleibt und die bestehenden Beschränkungen und Beschwerungen nicht durch einen erhöhten Zusatzpflichtteil ausgeglichen werden. Der pflichtteilsberechtigte Erbe erhält daher bei Annahme des belasteten Erbteils nur dessen "Netto-Wert" zuzüglich des Zusatzpflichtteils.[108] In diesen Fällen müsste der Pflichtteilsberechtigte die Erbschaft ausschlagen, um seinen vollen Pflichtteil zu erhalten.

 

Beispiel

Der Erblasser E hinterlässt als einzigen Pflichtteilsberechtigten seinen Sohn S. Diesen hat er als Erben zu ¼ eingesetzt. Zugunsten seines Freundes F hat E zu Lasten des S ein Vermächtnis in Höhe von EUR 1.000 ausgesetzt. Der Nachlass hat einen Wert von EUR 10.000.

Lösung

S kann den ihm hinterlassenen Erbteil annehmen oder nach § 2306 Abs. 1 BGB ausschlagen.

Alternative 1

Nimmt S das Erbe an, ist das zugunsten des F angeordnete Vermächtnis zu beachten. S erhält demnach nach Begleichung des Vermächtnisses einen Erbteil von EUR 1.500 (EUR 2.500–EUR 1.000). Daneben kann er seinen Zusatzpflichtteil geltend machen. Nach § 2305 Abs. 2 BGB sind bei der Berechnung desselben Beschränkungen und Beschwerungen nicht zu beachten mit der Folge, dass der Restpflichtteil EUR 2.500 (EUR 5.000 : 2) beträgt. Insgesamt erhält S somit einen Betrag von EUR 4.000 aus dem Nachlass.

Alternative 2

S schlägt das Erbe nach § 2306 BGB aus und macht stattdessen den Pflichtteil geltend. Dieser beträgt EUR 5.000 (entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils).[109]

 

Rz. 67

Wurde dem Pflichtteilsberechtigten genau die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils hinterlassen, steht ihm weder ein Pflichtteils- noch ein Zusatzpflichtteilsanspruch zu.[110]

Der Pflichtteilsrestanspruch ist wie der ordentliche Pflichtteil ein reiner Geldanspruch. Als solcher ist er eine Nachlassverbindlichkeit.

[108] Damrau/Tanck/Riedel, § 2305 Rn 2 m.w.N.
[109] Vgl. Damrau/Tanck/Riedel, § 2305 Rn 11.
[110] OLG Koblenz DNotZ 1974, 597.

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