Rz. 82

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch, auch außerordentlicher Pflichtteil genannt, ist ein vom ordentlichen Pflichtteil unabhängiger Anspruch.[129] Der Pflichtteilsergänzungsanspruch soll einen Ausgleich für die zu Lebzeiten des Erblassers getätigten Schenkungen schaffen und so verhindern, dass der Erblasser durch lebzeitige Zuwendungen den Nachlass vermindert und die Rechte der Pflichtteilsberechtigten umgeht. Haben die Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament (§ 2269 BGB) hinterlassen, so ist als Erblasser i.S.v. § 2325 BGB immer nur der überlebende Ehegatte anzusehen.[130] Anders als bei den Ausgleichungsvorschriften nach §§ 2050 ff. BGB gilt hier nicht der sog. erweiterte Erblasserbegriff.[131]

 

Rz. 83

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist ein selbstständiger Pflichtteilsanspruch, der grundsätzlich auf eine Geldzahlung gerichtet ist (anders § 2329 BGB).[132] Er steht dem Pflichtteilsberechtigten unabhängig vom ordentlichen Pflichtteil zu, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 2326 BGB ergibt. Er steht dem Berechtigten auch dann zu, wenn dieser nicht durch eine Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist (§ 2326 S. 1 BGB) oder die Erbschaft ausgeschlagen hat.[133] Rechtlich wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch entsprechend dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch behandelt, und zwar hinsichtlich seines Entstehens und seiner Übertragbarkeit (§ 2317 BGB). Gleiches gilt für die Auskunftspflicht und den Wertermittlungsanspruch, auch wenn dem Miterben gegenüber den anderen Miterben grundsätzlich kein Auskunftsanspruch zusteht.[134]

 

Rz. 84

Gemäß § 2325 Abs. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den oder die Erben geltend machen, wenn der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht hat. Berücksichtigt werden gem. § 2325 Abs. 3 BGB nur Schenkungen, die innerhalb der letzten 10 Jahre vor dem Erbfall getätigt wurden (zur Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt vgl. Rdn 100). Erfolgte die Schenkung unter Ehegatten, so beginnt die Zehnjahresfrist nicht vor Auflösung der Ehe. Nach Ansicht des BGH unterliegen auch die ehebezogenen Zuwendungen dem Pflichtteilsergänzungsanspruch.[135]

 

Rz. 85

Die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist der Betrag, um den sich der Pflichtteil erhöht hätte, wenn der verschenkte Gegenstand wertmäßig dem Nachlass hinzugerechnet worden wäre (fiktiver Nachlass oder auch sog. Ergänzungsnachlass).

[129] BGHZ 102, 333.
[130] BGHZ 88, 102.
[131] Damrau/Tanck/Riedel, § 2325 Rn 23.
[132] BGHZ 103, 333.
[133] BGHZ 43, 995.
[134] Palandt/Weidlich, § 2325 Rn 2.
[135] BGH FamRZ 1992, 300 ff.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge