Rz. 100

Gemäß § 2325 Abs. 3 BGB sind nur solche Schenkungen ergänzungspflichtig, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgten. Im Rahmen des § 2325 BGB hat sich infolge der Erbrechtsreform eine wesentliche Änderung im Pflichtteilsergänzungsrecht durch die Einführung der sog. "Pro-Rata"-Regelung (Abschmelzungsmodell) ergeben. Nach der Neuregelung werden lediglich Schenkungen innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs berücksichtigt. Für jedes weitere Jahr erfolgt eine Abschmelzung der Schenkung um jeweils 10 %. Erfolgte die Schenkung außerhalb der Zehnjahresfrist, unterliegt sie nicht Pflichtteilsergänzung. Ausgenommen hiervon sind weiterhin Schenkungen des Erblassers an seinen Ehegatten. In den Fällen des mangelnden Genussverzichtes (Nießbrauch, Vorbehaltsnießbrauch oder Wohnungsrecht, sofern es mehr als 50 % des übertragenen Objektes betrifft) unterliegen Schenkungen nach wie vor in voller Höhe der Pflichtteilsergänzung, weil die Zehnjahresfrist insoweit gar nicht erst in Gang gesetzt wird.[186] Zu einer Abschmelzung des Schenkungswertes kommt es daher nur dann, wenn die Zehnjahresfrist generell in Gang gesetzt wird.

Unberücksichtigt gelassen hat der Gesetzgeber aber die berechtigte Kritik an der Diskriminierung des Ehegatten. Insoweit hat der Gesetzgeber die bisherige Regelung beibehalten mit der Folge, dass die Frist für eine Schenkung unter Ehegatten nicht vor Auflösung der Ehe zu laufen beginnt.[187]

Fraglich ist, ab welchem Zeitpunkt die Zehnjahresfrist zu laufen beginnt, denn bei dem in § 2325 Abs. 3 BGB genannten Zeitpunkt der "Leistungserbringung" handelt es sich durchaus um einen dehnbaren Begriff. In Betracht kommen kann hier sowohl die bloße Leistungshandlung als auch der Leistungserfolg.[188] Der BGH stellt grundsätzlich bei Mobilien und Immobilien auf den tatsächlichen Eigentumserwerb ab.[189] Bei Grundstücken ist dies nach BGH die Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch.[190]

Nach der Rechtsprechung des BGH beginnt im Übrigen die Zehnjahresfrist für Schenkungen, die nicht endgültig aus dem wirtschaftlichen Vermögensbereich des Erblassers ausgegliedert wurden und bei denen sozusagen ein "Genussverzicht" nicht vorliegt, nicht zu laufen mit der Folge, dass derartige Zuwendungen unabhängig von einer Frist regelmäßig der Pflichtteilsergänzung unterliegen.[191]

 

Rz. 101

Der BGH hat in seinem Urt. v. 27.4.1994 ausgeführt, dass eine Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB nur dann vorliegt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch dann, wenn er darauf verzichtet hat, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiter zu nutzen, sei es aufgrund Vorbehalt seiner dinglichen Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche.[192] Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks den Nießbrauch uneingeschränkt vor (Vorbehaltsnießbrauch), gibt er somit den "Genuss" des verschenkten Gegenstands nicht auf. Eine "Leistung" i.S.v. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB im Hinblick auf den verschenkten Gegenstand liegt daher trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vor. Die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB beginnt nicht zu laufen.

 

Hinweis

Im Rahmen der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB kommt es nicht zu einer Aufteilung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil. Das heißt, die Frist beginnt entweder für das gesamte Grundstück zu laufen oder nicht. Nicht richtig ist es, wenn man annimmt, dass die Frist in Bezug auf den unentgeltlichen Teil zu laufen beginnt, bezüglich des entgeltlichen Teils (in Höhe des Vorbehaltsnießbrauchs) aber nicht.

 

Rz. 102

Umstritten ist, ob die Einräumung eines Wohnungsrechts dem Nießbrauch gleichzustellen ist mit der Folge, dass die 10-Jahresfrist erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem das Wohnungsrecht erlischt bzw. der Berechtigte davon keinen Gebrauch mehr macht. Nach der Rechtsprechung des BGH beginnt die 10-Jahresfrist mit der Eintragung des Übernehmers im Grundbuch zu laufen, auch wenn der Erblasser sich ein Wohnrecht an einem Teil des Hausgrundstückes vorbehalten hat.[193] Nur in Ausnahmefällen kann der Beginn des Fristlaufs gemäß § 2325 Abs. 3 gehindert sein. Verneint wurde der Fristbeginn für den Fall, dass das Wohnungsrecht die gesamte Zuwendung erfasste.[194] Wird hingegen das Wohnungsrecht beispielsweise lediglich auf eine im Erdgeschoss gelegene Wohnung begrenzt, so liegt eine Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB vor.[195] Gleiches gilt, wenn das Wohnungsrecht Bestandteil eines Altenteilsrechtes ist.[196] Erfasst das Wohnungsrecht die Räume im Erdgeschoss und teilweise auch im Obergeschoss eines Hausanwesens, dann wird der Fristanlauf nach Ansicht des OLG Düsseldorf[197] verneint.

 

Rz. 103

Bei Schenkungen des Erblassers an den überlebenden Ehegatten beginnt die Zehnjahresfrist unabhängig vom Güterstand nicht vor Auflösung der Ehe zu laufen (§ 2325 Abs. 3 S. 2 BGB). Die ratio dieser im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 3 GG verfassungsrecht...

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