Rz. 23

In seinem Urt. v. 11.2.2004[14] hat der BGH das Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlichen Disponibilität der Scheidungsfolgen einerseits und dem nicht akzeptablen unterlaufen des Schutzzweckes der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen andererseits aufgezeigt. Eine unzumutbare Lastenverteilung sei umso eher gegeben, je mehr die vertragliche Abbedingung der gesetzlichen Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreifen, sog. Kernbereichslehre.

 

Rz. 24

Zu diesem Kernbereich gehören in erster Linie der Betreuungsunterhalt, danach weitere Unterhaltstatbestände sowie Regelungen zum Versorgungsausgleich.

Demgegenüber erweist sich, so der BGH, der Zugewinnausgleich ehevertraglicher Disposition am weitesten zugänglich. Die eheliche Lebensgemeinschaft sei nicht notwendig auch eine Vermögensgemeinschaft. Das Eheverständnis erfordere keine bestimmte Zuordnung des Vermögenserwerbs in der Ehe.[15]

Der BGH nimmt damit eine Rangabstufung bereits innerhalb der nachehelichen Unterhaltstatbestände vor und baut damit eine Prüfungsreihenfolge auf, die im Anschluss eine Gesamtschau ermöglichen soll.[16]

 

Hinweis

Zur Stufenprüfung (Kernbereichslehre) im Einzelnen

 
1. Stufe Unterhalt wegen Kindesbetreuung gem. § 1570 BGB, grundsätzlich unverzichtbar,
2. Stufe Versorgungsausgleich,[17]
3. Stufe Alters- und Krankheitsunterhalt gem. §§ 1571, 1572 BGB, ebenfalls hochrangige Einstufung, aber vertraglichen Regelungen zugänglich, nicht nur, aber vor allem bei Ehe- und Vertragsschluss von Ehegatten in fortgeschrittenem Alter mit gesicherter Lebensstellung, bei einer Ehe von kurzer Dauer zwischen wirtschaftlich eigenständigen jüngeren Eheleuten oder dann, wenn die Krankheit bereits bei Eheschließung vorhanden war,[18]
4. Stufe Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit nach § 1573 Abs. 1, 4 BGB, eher disponibel, weil schon § 1573 Abs. 4 BGB das Risiko der Erwerbslosigkeit auf den Berechtigten verlagert,
5. Stufe Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt: disponibel, Ausnahme: Zuordnung zum Ausgleich ehebedingter Nachteile,[19]
6. Stufe Die übrigen Unterhaltstatbestände wie Ausbildungs- (§ 1575 BGB) und Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB), am ehesten verzichtbar,[20]
7. Stufe Volle Vertragsfreiheit bei der Wahl des Güterstandes (Ausschluss des Zugewinnausgleichs), Kontrolle über § 242 BGB aber in Sonderfällen (mangelnde "eheliche Solidarität" insbesondere: fehlende Auffangfunktion.
 

Rz. 25

Der BGH konkretisiert damit den Grundsatz, dass eine Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens notwendig ist.[21]

Die Rechtsprechung des BGH ist insgesamt wie folgt strukturiert:

Objektive Seite (Wertigkeit des Rechts)
Subjektive Seite (Zweck, Beweggründe)
Gesamtbetrachtung und Konsequenz
 

Rz. 26

Für die objektive Seite ist die Wertigkeit des Rechts maßgebend, auf das verzichtet oder das sonst geschmälert wird. Eine Beanstandung ist danach umso eher anzunehmen, je mehr die Vereinbarung in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

Neben den objektiven Folgen der Vereinbarung sind die von den Vertragschließenden verfolgten subjektiven Zwecke und Beweggründe zu berücksichtigten. Zur Prüfung gehört auch die Frage, ob die benachteiligte Vertragspartei wegen subjektiver Unterlegenheit eine erheblich schwächere Verhandlungsposition hatte,[22] z.B. aufgrund einer Zwangslage.[23] Eine Schwangerschaft reicht für sich allein genommen aber nicht aus, eine Nichtigkeit festzustellen, und zwar auch dann nicht, wenn der Pflichtige die Eheschließung vom Vertragsschluss abhängig macht. Indiziert wird aber eine Disparität bei Vertragsabschluss. Dies führt zwingend zu einer verstärkten richterlichen Inhaltskontrolle.[24]

 

Rz. 27

Bei der Prüfung der Wirksamkeit von Eheverträgen sind zwei Prüfungskomplexe voneinander zu unterscheiden:

die Prüfung der Wirksamkeit des Vertrages bei Vertragsschluss (Wirksamkeitskontrolle) und
die Prüfung der Wirksamkeit des Vertrages bei Scheidung (Ausübungskontrolle).
 

Rz. 28

Zunächst ist die Prüfung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorzunehmen. Ergibt sich danach eine unzumutbare Lastenverteilung zum damaligen Zeitpunkt (die bei Scheidung nicht oder nicht mehr vorhanden sein muss), so ist der Vertrag sittenwidrig. Damit treten dann die gesetzlichen Scheidungsfolgen an deren Stelle.[25]

 

Rz. 29

 

Beispiel

Haben die Parteien den Betreuungsunterhalt im Ehevertrag ausgeschlossen oder unzumutbar begrenzt, so ist der Vertrag auch dann sittenwidrig, wenn das gemeinsame Kind der Parteien zum Zeitpunkt der Scheidung bereits erwachsen ist.[26]

 

Rz. 30

Umgekehrt ergibt sich aus dem weitgehenden Ausschluss des Betreuungsunterhalts dann keine unzumutbare Lastenverteilung, wenn der Ehefrau auch dann kein Anspruch auf Betreuungsunterhalt zustünde, wenn sie den Ehevertrag nicht abgeschlossen hätte.[27]

Unbedenklich ist aber ein Ausschluss von Risiken eines Partners, die dieser bereits vor der Ehe ...

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