Rz. 36

Im Dezember 2017 entschied der EuGH über die Vorlagefragen des FG Köln hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von § 50d Abs. 3 EStG in seiner alten Fassung (bis 2011), welcher den Erstattungsanspruch aus Abs. 1 und 3 einschränkt. Konkret ging es in den Vorlagefällen um die Freistellung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag hinsichtlich Gewinnausschüttungen an eine gebietsfremde (niederländische bzw. dänische) Mutter von ihren in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaften.

 

Rz. 37

In den Rechtssachen Deister Holding AG (C-504/16) und Juhler Holding A/S (C-613/16) entschied der EuGH, dass § 50d Abs. 3 EStG in seiner Fassung von 2011 einen Verstoß gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie und gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt. Die Vorschrift begründet demnach eine unwiderlegbare Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung, da sie in dem Fall, in dem eine der in ihr vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist, der gebietsfremden Muttergesellschaft nicht die Möglichkeit lässt, das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe zu beweisen. Die Tatbestandsmerkmale der Norm begründen als solche keinen Missbrauch, denn die Mutter-Tochter-Richtlinie schreibt nicht vor, welche wirtschaftliche Tätigkeit die von ihr erfassten Gesellschaften ausüben müssen oder wie hoch die Einkünfte aus ihrer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit zu sein haben.

 

Rz. 38

Nachdem der EuGH[45] § 50d Abs. 3 EStG (2007) als unionsrechtswidrig einstufte und das FG Köln auch die Fassung 2012 dem EuGH zur Klärung vorlegte (anhängig unter C-440/17),[46] hat nun das BMF mit Schreiben vom 4.4.2018 zur Entlastung vom Steuerabzug vom Kapitalertrag bei ausländischen Gesellschaften Stellung genommen.[47] Die Finanzverwaltung folgt der Bindungswirkung des EuGH und wendet die Fassung 2007 in Fällen, in denen der Gläubiger der Kapitalerträge einen Anspruch auf Entlastung nach § 43b EStG geltend macht, nicht mehr an. Darüber hinaus überträgt das BMF die Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH auf die aktuelle Fassung (2012), soweit diese mit der alten Fassung übereinstimmt.

Das BMF-Schreiben ist für alle Fälle von Bedeutung, in denen der Gläubiger der Kapitalerträge einen Entlastungsanspruch nach § 43b EStG (Mutter-Tochter-Richtlinie) geltend machen kann. Keine Aussagen hat das BMF leider zu Drittstaatenfällen, zu Entlastungsansprüchen aufgrund der Zins- und Lizenz-Richtlinie (§ 50g EStG) sowie Fällen einer Entlastung aufgrund DBA getroffen.

 

Rz. 39

Dem EuGH-Urteil folgend wendet die Finanzverwaltung § 50d Abs. 3 EStG 2007 in Fällen, in denen der Gläubiger der Kapitalerträge einen Anspruch auf Entlastung nach § 43b EStG (Mutter-Tochter-Richtlinie) geltend macht, nicht mehr an. Für die aktuelle Fassung (§ 50d Abs. 3 EStG 2012) ordnet das BMF an, dass die verbindliche Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH auch auf die aktuelle Regelung des § 50d Abs. 3 EStG insoweit zu übertragen ist, als diese mit der Fassung von 2007 übereinstimmt. Konkret bedeutet das: Nichtanwendung des § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG.

Die Finanzverwaltung wendet künftig (in allen noch offenen Fällen) § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG nicht mehr an. Danach kam es bisher ausschließlich und allein auf die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft an. Dieses Verbot der Konzernbetrachtung ist nunmehr aufgehoben; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe von der ausländischen Gesellschaft nahe stehenden Personen haben somit in Zukunft Relevanz. Das BMF weist aber darauf hin, dass derartige wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG dennoch fehlen, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft im Wesentlichen auf einen steuerlichen Vorteil abzielt.

 

Rz. 40

Im Hinblick auf Erleichterungen für vermögensverwaltende Tätigkeiten/EU-Holdings wendet die Finanzverwaltung ihr BMF-Schreiben vom 24.1.2012 künftig (in allen noch offenen Fällen) mit der Maßgabe an, dass

eine Gesellschaft auch insoweit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, als sie ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt. Im Fall einer passiven Beteiligungsverwaltung (Tz. 5.2 des BMF-Schreibens vom 24.1.2012) gilt dies nur dann, wenn die Gesellschaft ihre Rechte als Gesellschafterin tatsächlich ausübt;
für den Geschäftszweck der Verwaltung von Wirtschaftsgütern ein i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb nicht zwingend voraussetzt, dass die Gesellschaft im Ansässigkeitsstaat für die Ausübung ihrer Tätigkeit ständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal beschäftigt (betrifft Tz. 7 des BMF-Schreibens vom 24.1.2012);
die bisherigen Ausführungen zu § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG (betrifft Tz. 6 und 8 des BMF-Schreibens vom 24.1.2012) keine Anwendung mehr finden.

Damit folgt die Finanzverwaltung nun auch für die aktuell gültige Fassung des § 50d Abs. 3 EStG der Auffassung des EuGH, wonach allein die...

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