Rz. 83

Unter dem Eindruck der anhaltenden Diskussion um internationale Gewinnverlagerung und aggressive Steuergestaltungen hat die EU eine Richtlinie zur Einführung einer Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen beschlossen. Die Richtlinie EU 2018/822 vom 25.5.2018 nimmt Berater wie Steuerpflichtige gleichermaßen in die Pflicht, bestimmte Gestaltungen an die Finanzbehörden zu melden.

Das Konzept steht grundsätzlich im Einklang mit den unter Aktionspunkt 12 des OECD-BEPS-Projektes entwickelten Vorschlägen, auch wenn Aktionspunkt 12 kein sog. Minimum-Standard ist und daher nicht verpflichtend umzusetzen war.

 

Rz. 84

Im Anhang der Richtlinie sind eine Reihe von Kennzeichen, sog. Hallmarks, aufgeführt (u.a. das grenzüberschreitende Nutzen von Verlusten zur Senkung der Steuerlast oder das Ausnutzen günstiger Steuersonderregelungen und Vereinbarungen unter Beteiligung von Ländern, die die internationalen Standards für verantwortungsvolles Handeln nicht einhalten). Sobald eines der Merkmale bei bestimmten Kategorien von Merkmalen auf ein Modell zutrifft, muss dieses gemeldet und überprüft werden.

Das erklärte Ziel der EU ist, die Steuerbehörden frühzeitig mit Informationen über Gestaltungen zu versorgen sowie effektivere Hindernisse für Intermediäre zu errichten, die bei Steuerhinterziehung oder Umgehung Unterstützung leisten.[77] Daneben verspricht sich die EU eine abschreckende Wirkung.

 

Rz. 85

Nach intensiven Verhandlungen über den am 21.6.2017 von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf konnte am 13.3.2018 die politische Einigung, der entscheidende Schritt im EU-Gesetzgebungsverfahren für Steuerrichtlinien, im Rat der EU erzielt werden. Am 25.5.2018 folgte die formelle Annahme im Rat und bereits am 5.6.2018 wurde die Richtlinie im EU-Amtsblatt veröffentlicht.

 

Rz. 86

Die EU-Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen wird im Rahmen einer Anpassung der Amtshilfe-Richtlinie (2011/16/EU) umgesetzt. Die Amtshilfe-Richtlinie (AHiRL), in die zuvor bereits u.a. das BEPS Country-by-Country Reporting sowie der OECD Common Reporting Standard (Finanzkonten-Informationsaustausch) aufgenommen wurde, sieht einen automatischen Austausch der gewonnenen Informationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten vor.

Neben der nunmehr verpflichtend umzusetzenden EU-Richtlinie für grenzüberschreitende Gestaltungen treibt die Finanzministerkonferenz der Länder in Deutschland eine ergänzende Meldepflicht voran, die auch rein nationale Gestaltungen erfasst.

 

Rz. 87

Der inhaltliche Kern der Anzeigepflicht wird in einem neuen Art. 8ab, einem Anhang IV (Hallmarks) sowie einigen neuen Definitionen in Art. 3 der EU-Amtshilfe-Richtlinie geregelt. Als betroffene Personen stellt die Richtlinie auf Intermediäre und alternativ auch auf relevante Steuerpflichtige ab. Eine Missachtung der Anzeigepflicht soll wirksame, verhältnismäßige, aber auch abschreckende Sanktionen nach sich ziehen, welche jedoch noch nicht näher bestimmt sind (Art. 25a AHiRL).[78]

[77] Dok. 6804/48 FISC 103 ECOFIN 206, Nr. 2; Dok. 9452/16 FISC 85 ECOFIN 502, Nr. 12.
[78] Vgl. zur ausführlichen Behandlung der grenzüberschreitenden Meldepflichten: von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka, Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, 2021.

a) Begriff der Gestaltung

 

Rz. 88

Der Begriff der Gestaltung wird in der Richtlinie nicht direkt definiert. Die Richtlinie spricht in den Erwägungsgründen zwar mehrfach von "potenziell aggressiven Steuergestaltungen"/"potentially aggressive tax planning arrangements" oder "potenziell aggressiven grenzüberschreitenden Steuerplanungsgestaltungen"/"potentially aggressive cross-border tax planning arrangements", jedoch wird in der Folge kein klares Kriterium eingeführt, nach dem nur "aggressive" Gestaltungen zu erfassen wären.

b) Grenzüberschreitende Gestaltung

 

Rz. 89

Die Anzeigepflicht ist auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt, d.h. es sind EU-interne Gestaltungen mit mehr als einem beteiligten Mitgliedstaat oder Gestaltungen mit einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat erfasst. Konkret stellt die Richtlinie beim Begriff "grenzüberschreitende Gestaltung" auf die folgenden Bedingungen ab, wobei die Erfüllung einer Bedingung ausreichend ist (Art. 3 Nr. 18 AHiRL):

Nicht alle an der Gestaltung Beteiligten sind im selben Hoheitsgebiet steuerlich ansässig.
Einer oder mehrere der an der Gestaltung Beteiligten ist/sind gleichzeitig in mehreren Hoheitsgebieten steuerlich ansässig.
Einer oder mehrere der an der Gestaltung Beteiligten übt/üben in einem anderen Hoheitsgebiet über eine dort ansässige Betriebsstätte Geschäftstätigkeiten aus, und die Gestaltung stellt teilweise oder ganz die durch die Betriebsstätte ausgeübte Geschäftstätigkeiten dar.
Einer oder mehrere der an der Gestaltung Beteiligten übt/üben in einem anderen Hoheitsgebiet eine Tätigkeit aus, ohne dort steuerlich ansässig zu sein oder eine Betriebsstätte zu begründen.
Eine solche Gestaltung hat möglicherweise Auswirkungen auf den automatischen Informationsaustausch oder die Identifizierung der wirtschaftlichen Eigentüm...

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