Rz. 63

In diesem Kapitel werden im Gegensatz zu dem vorstehenden Kapitel (Rdn 62) keine speziellen Gebührenvorschriften aus dem Teil 3, Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses des RVG dargestellt, sondern es wird die Anwendung der bereits aus Rdn 4 ff. bekannten Gebühren aus dem Teil 3, Abschnitte 1 und 2 des Vergütungsverzeichnisses in besonderen Verfahrensarten der ZPO aufgezeigt. Solche besonderen Verfahrensarten sind z. B. das selbstständige Beweisverfahren oder der Urkunden- und Wechselprozess.

I. Die Gebühren im selbstständigen Beweisverfahren

 

Rz. 64

→ Dazu Aufgaben Gruppe 16

Das selbstständige Beweisverfahren nach den §§ 485 ff. ZPO kann sowohl während als auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreites durchgeführt werden. Dieses Verfahren dient einer vorsorglichen Beweisaufnahme durch Augenschein, Zeugen oder Sachverständigengutachten, insbesondere wenn die Gefahr besteht, dass ein Beweismittel verloren gehen könnte.

Schon vor der Anhängigkeit eines Rechtsstreits kann ein schriftliches Sachverständigengutachten bei Gericht beantragt werden, wenn dies der Vermeidung des Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 ZPO).

Eine mündliche Verhandlung muss in diesem Verfahren nicht stattfinden, jedoch kann das Gericht die Parteien zur mündlichen Erörterung laden, wenn dabei eine Einigung der Parteien zu erwarten ist (§ 492 Abs. 3 ZPO).

 

Rz. 65

Das selbstständige Beweisverfahren ist gebührenrechtlich immer eine eigenständige Angelegenheit, denn schon die Überschrift zu Titel 12 ZPO besagt, dass es ein selbstständiges Verfahren ist.

In dem selbstständigen Beweisverfahren können die normale Verfahrensgebühr und die normale Terminsgebühr entstehen. Der Antrag auf ein selbstständiges Beweisverfahren setzt ähnliche Vorbereitungen voraus wie für eine Klage. Das rechtfertigt das Entstehen der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG. Die Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) entsteht für die Teilnahme des RA an einem gerichtlichen Termin, aber nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG auch für außergerichtliche Besprechungen, die der Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens dienen sollen.

 

Rz. 66

Für sehr umfangreiche Beweisaufnahmen in dem Verfahren gibt es eine Zusatzgebühr neben der Verfahrens- und der Terminsgebühr. Die 0,3 Beweisgebühr nach Nr. 1010 VV RVG darf jedoch nur berechnet werden, wenn mindestens drei gerichtliche Beweistermine stattfinden, in denen Sachverständige oder Zeugen umfangreich vernommen werden. Siehe hierzu Rdn 23.

 

Rz. 67

Der Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens erfordert praktisch dieselben Tätigkeiten wie die Vorbereitung einer Klage. Deshalb erhält der RA für die Einreichung des Antrags eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG. Andererseits soll der RA aber auch für beinahe dieselbe Tätigkeit die Verfahrensgebühr nicht doppelt erhalten. Deswegen gibt es in Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG eine Anrechnungsvorschrift für die Verfahrensgebühr: Die Verfahrensgebühr aus dem selbstständigen Beweisverfahren muss auf die Verfahrensgebühr des Hauptprozesses angerechnet werden.

Die Anrechnungsvorschrift gilt dagegen nicht für die Terminsgebühr oder die Beweisgebühr. Für den Fall, dass in einer Sache ein selbstständiges Beweisverfahren und ein Hauptprozess stattgefunden haben, sind zwei Vergütungsrechnungen aufzustellen, da es sich um zwei Angelegenheiten handelt.

 

Merke:

Im selbstständigen Beweisverfahren entstehen ganz normale Verfahrens- und Terminsgebühren.

Wenn der RA auch im Hauptprozess tätig ist, sind zwei Vergütungsrechnungen aufzustellen.

Nur die Verfahrensgebühr aus dem selbstständigen Beweisverfahren ist auf die Verfahrensgebühr des Hauptprozesses anzurechnen.

1. Die Gebühren bei nicht anhängigem Hauptprozess

 

Rz. 68

Im selbstständigen Beweisverfahren, das isoliert außerhalb eines Streitverfahrens stattfindet, können dem RA bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr nach Nrn. 3100 ff. VV RVG (bzw. in der Rechtsmittelinstanz nach Nrn. 3200 ff. VV RVG) erwachsen:

Die Verfahrensgebühr entsteht mit der Einreichung des Antrages auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens. Bei vorzeitiger Erledigung des Auftrages vor Einreichung des Antrages bei Gericht erhält der RA gemäß Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG nur eine Gebühr in Höhe von 0,8 (bzw. 1,1 in der Berufungsinstanz nach Nr. 3201 VV RVG). Sollte es später noch zu einem Hauptverfahren kommen, ist nach der Anrechnungsvorschrift aus Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV RVG die Verfahrensgebühr aus dem selbstständigen Beweisverfahren auf die Verfahrensgebühr des Hauptprozesses anzurechnen.
Die Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG (Berufung Nr. 3202 VV RVG) erhält der RA nur, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Das Gericht kann über den Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 490 Abs. 1 ZPO). Wenn eine mündliche Verhandlung über den Antrag stattfindet, entsteht die Terminsgebühr. Über den Antrag wird jedoch in der Regel ohne mündliche Verhandlung entschieden. Andererseits könnte das Gericht die Parteien zur mündlichen Erörter...

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