Rz. 95

Mit § 125 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO steht dem Insolvenzverwalter ein weiteres Instrument zur Sanierung des insolventen Unternehmens zur Verfügung. Die im Rahmen eines zur Sanierung und Fortführung des Unternehmens erforderlichen Personalabbaus vorzunehmende Sozialauswahl wird erleichtert, indem sowohl der Erhalt als auch die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur als nicht grob fehlerhaft angesehen wird. Ggü. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG bietet § 125 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO dem Verwalter in der Insolvenz die Möglichkeit, die vorhandene Personalstruktur nicht nur zu erhalten, sondern sie zu schaffen. Er wird damit weitgehend von den Zwängen der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG befreit und in die Lage versetzt, die Alters- und Qualifikationsstrukturen im Betrieb/Unternehmen aktiv zu gestalten. Es ist daher in der Unternehmensinsolvenz möglich, eine nach Leistungsstärke und Altersstruktur gleichwertige Belegschaft erstmals zu schaffen und damit Versäumnisse bei der Einstellungspolitik des Unternehmens zu heilen. Eine zum Erhalt des Unternehmens und seiner Wettbewerbsfähigkeit wie auch für den Verkauf des Unternehmens oder Teilen hiervon mittels Bildung von Altersgruppen durchgeführte Personalabbaumaßnahme dient einem im Allgemeininteresse liegenden legitimen Ziel. Sowohl der Erhalt als auch die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur verstoßen daher nicht gegen das grundsätzlich bestehende Verbot der Altersdiskriminierung (BAG v. 19.12.2013, BB 2014, 953; BAG v. 15.12.2011, DB 2012, 1445). Beabsichtigt der Insolvenzverwalter die Schaffung einer neuen Altersstruktur gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG i.V.m. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO, muss er entweder bereits im Interessenausgleich oder separat hierzu verdeutlichen, welche konkrete Altersstruktur er schaffen will und aus welchem Grund dies erforderlich ist (BAG v. 19.12.2013, BB 2014, 953). Erforderlich ist mithin ein Sanierungskonzept, aus dem sich Erforderlichkeit und Angemessenheit der beabsichtigten neuen Altersstruktur ergibt. Eine Altersgruppenbildung zur Sicherung oder Schaffung einer ausgewogenen betrieblichen Altersstruktur ist des Weiteren nur gerechtfertigt, wenn die Gruppenbildung sachlichen Kriterien unterliegt, die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen festgestellt und die Gesamtzahl der zu kündigenden Arbeitnehmer diesem Proporz entsprechend auf die jeweiligen Altersgruppen verteilt wird (BAG v. v. 26.3.2015, NZA 2015, 1122).

 

Rz. 96

Der Begriff "Personalstruktur" umfasst nicht nur das Alter der Belegschaft, sondern vor allem die Leistungsstärke und Qualifikation (vgl. BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, ZIP 2004, 1271; HK/Linck, § 125 InsO Rn 29; Berthel/Berscheid, WPrax 1996, 2, 6 ff.; Sander, BuW 1997, 30, 35), daneben aber auch Berufsrepräsentation, Schwerbehindertenquote und Teilzeitbeschäftigtenanteil (Grunsky/Moll, Rn 147; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1011; Wlotzke, BB 1997, 414, 418). Anforderungsprofile der Arbeitsplätze und Qualifikationsprofile der Mitarbeiter sind in diesem Zusammenhang die beiden Bausteine, die für die gesamte betriebliche Personalarbeit an sich von grundlegender Bedeutung sind (Berthel/Berscheid, WPrax 1996, 2, 7). Der Schwerpunkt der Diskussion liegt jedoch bei der Festlegung der Maßstäbe auf einer ausgewogenen Altersstruktur. Wegen der Schwierigkeiten einer sachgerechten Handhabung, insb. der Bewertung der Anforderungs- und Qualifikationsprofile, führt der Aspekt der ausgewogenen Personalstruktur in der Praxis häufig zu einer lediglich altersgruppenbezogenen Sozialauswahl (Berscheid, S. 225 Rn 657; Grunsky/Moll, Rn 153; a.A. Giesen, ZfA 1997, 145, 155, der die Bildung von Altersgruppen für unzulässig hält).

 

Rz. 97

Dem Insolvenzverwalter steht bei der Gruppenbildung zur Schaffung einer neuen, ausgewogenen Personalstruktur ein Beurteilungsspielraum zu. Dabei sind zahlreiche und vielfältige Modelle zur (Neu-) Strukturierung denkbar (vgl. im Einzelnen die 3. Auflage sowie Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 87 ff.).

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