Rz. 39

Das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO soll sich nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers auch auf das Recht beziehen, Auskunft über die eigenen gesundheitsbezogenen Daten zu erhalten. Dies können Daten in Patientenakten sein, die Informationen wie

Diagnosen,
Untersuchungsergebnisse,
Befunde der behandelnden Ärzte oder
Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen

enthalten.

Insbesondere für den ärztlichen Berufsstand und vor allem Krankenhäuser kann dies zu einer enormen Kostenexplosion führen. Das Verhältnis zu den nationalen Bestimmungen ist dabei unklar.[28]

 

Rz. 40

Der Behandelnde kann vom Patienten gemäß § 630g Abs. 2 S. 2 BGB die Erstattung der Kosten für Abschriften/Ausdrucke der Patientenakte fordern. Zu erstatten sind grundsätzlich die tatsächlich entstandenen Kosten. Ein solcher Anspruch kann jedoch vernünftigerweise nicht nach oben hin unbegrenzt bestehen. Nach Ansicht des LG München I[29] soll bei dem unter Umständen beträchtlichen Arbeitsaufwand zur Vervielfältigung einer Krankendokumentation eine Erstattung von 0,50 EUR pro DIN A4-Seite nicht unangemessen sein. Dies entspricht der Aufwandsentschädigung gemäß § 7 Abs. 2 JVEG. Als Folge der dortigen Vorgaben für Abschriften von elektronischen Patientenakten, etwa bei Anfertigen einer Kopie auf CD oder DVD, dürften 2,50 EUR pro Datei durchaus angemessen sein (vgl. § 7 Abs. 3 JVEG). Hinzu kommen die Portokosten im Falle der Versendung von Unterlagen.

Der Behandelnde kann vom Patienten Vorkasse verlangen.[30] Dies steht in direktem Widerspruch zur DSGVO, die grundsätzlich der nationalen Bestimmung vorgeht.

Wie die deutschen Gerichte diesen Konflikt lösen werden, bleibt spannend.

 

Rz. 41

Ebenso spannend wird zu beobachten sein, ob und wie die Grundsätze des sog. "therapeutischen Vorbehalts" unter Anwendung der DSGVO Berücksichtigung finden werden. Aus § 630g Abs. 1 BGB folgt zwar eine Rechenschaftspflicht, die jedoch in eng begrenzten Fällen eingeschränkt werden kann. Wird das Einsichtsrecht abgelehnt, ist dies zwar zu begründen (§ 630g Abs. 1 S. 2 BGB), um den Patienten in die Lage zu versetzen, den Grund der Ablehnung in seinen wesentlichen Zügen nachzuvollziehen.[31] Fraglich ist, ob eine solche Ablehnung überhaupt mit dem Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO zu vereinbaren ist. Als Gründe nennt § 630g BGB entgegenstehende erhebliche therapeutische Gründe (sogenannter "therapeutischer Vorbehalt") oder sonstige erhebliche Rechte Dritter. Als erhebliche therapeutische Gründe können schwere gesundheitliche Nachteile im Falle der Offenlegung der Patientenakte gegenüber dem Patienten anzuerkennen sein.[32] Soweit es um die Dokumentation einer psychiatrischen Behandlung geht, kann das Einsichtnahmerecht des Patienten eingeschränkt sein. Gerade bei psychisch Kranken steht einer Einsichtnahme der Behandlungsunterlagen häufig entgegen, dass die Einsichtnahme zu einer Verschlechterung des psychischen Zustandes führen kann.[33] In diesem Fall kann dem Einsichtsbegehren ausreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass die Einsichtnahme durch einen anderen Therapeuten oder sachkundigen Arzt erfolgt, der seinerseits die Entscheidung treffen kann, welche Informationen dem Patienten ohne Gefährdung zugänglich gemacht werden können.[34]

Aus erheblichen therapeutischen Gründen kann nach den Gesetzgebungsmaterialien[35] eine Verweigerung der Einsichtnahme auch dann folgen, wenn Gegenstand einer psychotherapeutischen Behandlung Minderjähriger auch Konflikte mit den Eltern sind. Eine Einsichtnahme durch die Eltern könnte für den Minderjährigen unter Umständen schädlich sein. Umgekehrt sind bei einer solchen Behandlung "sonstige erhebliche Rechte Dritter" beeinträchtigt, wenn die Patientenakte sensible Informationen über die Eltern eines minderjährigen Patienten enthält.[36]

Schutzwürdige Persönlichkeitsrechte Dritter dürfen durch die Akteneinsicht grundsätzlich nicht verletzt werden (Art. 15 Abs. 4 DSGVO).

Fraglich ist auch wie der in § 10 Abs. 2 MBO-Ä formulierte Vorbehalt, demzufolge subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen des Arztes von der Herausgabepflicht ausdrücklich ausgenommen sind,[37] zu behandeln sein wird. Nach hiesiger Auffassung dürfte er unter Geltung der DSGVO obsolet sein. Wie mit dem therapeutischen Vorbehalt zu verfahren sein wird, bleibt abzuwarten.[38]

[28] Hierzu auch Kazemi, in: Ratzel/Katzenmeier (Hrsg.), Festschrift für Franz-Josef Dahm, 2017, S. 283 ff.
[29] LG München I, Urt. v. 19.11.2008 – 9 O 5324/08, GesR 2009, 201.
[30] Bahner, MPR 2013, 73, 79.
[31] BT-Drucks 10/11710, S. 29.
[32] BT-Drucks 17/10488, S. 26; vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.2006 – 2 BvR 443/02, NJW 2006, 1116; BGH, Urt. v. 6.12.1988 – VI ZR 76/88, NJW 1989, 764; LG Göttingen, Urt. v. 16.11.1978 – 2 O 152/78, NJW 1979, 601.
[33] Wenzel, in: Wenzel (Hrsg.), Handbuch Fachanwalt Medizinrecht, 3. Aufl. 2013, Kap. 4 Rn 313.
[34] LG Bremen, Urt. v. 25.7.2008 – 3 O 2011/07, MedR 2009, 480.
[35] BT-Drucks 17/11710, S. 25.
[36] BT-Drucks 17/11710, S. 29.
[37] Schlund, in: Laufs/Kern (Hrsg.), H...

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