Rz. 9

Unternehmensbewertungen dienen unterschiedlichen Zwecken. Der Wert eines Unternehmens kann nicht losgelöst vom Zweck der Wertermittlung bestimmt werden. "Es gibt nicht den schlechthin richtigen Unternehmenswert: Da Unternehmenswertermittlungen sehr unterschiedlichen Zwecken dienen können, ist der richtige Unternehmenswert jeweils der zweckadäquate."[19] Der Zweck wird von dem Bewertungsanlass determiniert. Da der Unternehmenswert somit grundsätzlich der Beantwortung einer mit dem Anlass und dem Zweck verbundenen Fragestellung dient, ist ein ermittelter Unternehmenswert auch nur in Zusammenhang mit dem Bewertungszweck zu interpretieren.[20]

 

Rz. 10

In Abhängigkeit vom Bewertungszweck entscheidet die jeweilige Bewertungsfunktion über die verwendeten Verfahren und die einzubeziehenden Parameter.[21] Die Funktionen werden regelmäßig in Haupt- und Nebenfunktionen untergliedert. Resultiert der Bewertungsanlass aus einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse, wird von einer Hauptfunktion, andernfalls von einer Nebenfunktion ausgegangen. Die Hauptfunktionen lassen sich nach der funktionalen Unternehmensbewertungslehre untergliedern in die Beratungsfunktion, die Vermittlungsfunktion und die Argumentationsfunktion.[22]

 

Rz. 11

In der Bewertungspraxis nimmt die Beratungsfunktion die zentrale Stellung ein.[23] Im Rahmen der Beratungsfunktion werden subjektive Grenzpreise ermittelt, die insbesondere der Entscheidungsvorbereitung von Akquisitionen dienen.[24] Die ermittelten Grenzpreise zeigen die maximale Zahlungsbereitschaft eines Erwerbers bzw. den mindestens zu erzielenden Transaktionspreis aus Sicht des Veräußerers auf. Die Grenzpreise berücksichtigen sowohl die individuellen Planungen und Eigenschaften als auch die Ressourcen und Restriktionen des bisherigen bzw. neuen Anteilseigners.[25]

 

Rz. 12

Bei der Vermittlungsfunktion ist es Aufgabe des Bewerters, einen fairen Vermittlungswert für eine Transaktion zu bestimmen, indem er zwischen den Verhandlungspartnern moderiert. Dies ist dann erforderlich, wenn ohne eine solche Vermittlung keine Einigung zwischen den Beteiligten zustande kommen würde. Zur Bestimmung des Vermittlungswertes muss der Vermittler die Grenzpreise der Beteiligten kennen, um den Verhandlungsbereich abstecken zu können. Der Vermittlungswert ist jedoch kein objektiver bzw. objektivierter Wert, der auch für andere Bewertungssubjekte angemessen wäre, da er ausschließlich die Interessen der Beteiligten berücksichtigt.[26]

 

Rz. 13

Die Aufgabe des Bewerters im Rahmen der Argumentationsfunktion besteht darin, einen Unternehmenswert zu ermitteln, der einer bestimmten Verhandlungsseite bei Kaufpreisverhandlungen dient. Die hier ermittelten Werte liegen in der Nähe des Grenzpreises der Gegenseite und sollen die eigene Verhandlungsposition stärken. Vor diesem Hintergrund werden subjektive Unternehmenswerte ermittelt, die zwar glaubhaft, aber auch so flexibel sind, dass sie Möglichkeiten zu Zugeständnissen während der Verhandlungen ermöglichen.[27]

 

Rz. 14

Abweichend von den nach der Funktionenlehre dargestellten Funktionen kann der Bewerter im Rahmen des IDW S 1 als Sachverständiger in den Funktionen als neutraler Gutachter, als Berater oder als Schiedsgutachter/Vermittler tätig werden.[28] In der Funktion als neutraler Gutachter wird ein objektivierter, d.h. ein von den individuellen Wertvorstellungen der betroffenen Parteien unabhängiger Unternehmenswert ermittelt. Im Rahmen der Beratungsfunktion ermittelt der Bewerter im Grundsatz einen subjektiven Entscheidungswert, der bspw. angeben kann, was – unter Berücksichtigung der vorhandenen individuellen Möglichkeiten und Planungen – ein bestimmter Investor für ein Unternehmen höchstens anlegen darf (Preisobergrenze) oder ein Verkäufer mindestens verlangen muss (Preisuntergrenze), um seine ökonomische Situation durch die Transaktion nicht zu verschlechtern. In der Schiedsgutachter-/Vermittlerfunktion wird der Bewerter tätig, der in einer Konfliktsituation unter Berücksichtigung der verschiedenen subjektiven Wertvorstellungen der Parteien einen Einigungswert vorschlägt. Der Schiedswert liegt theoretisch innerhalb des Einigungsbereichs zwischen der subjektiven Preisobergrenze des Käufers und der subjektiven Preisuntergrenze des Verkäufers.[29]

[19] Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1983, S. 123.
[20] Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 26.
[21] Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 1976, S. 42.
[22] Vgl. Sieben, WISU 1983, 539.
[23] Vgl. Hering, Unternehmensbewertung, S. 5.
[24] Vgl. Böcking/Rauschenberg, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 2 Rn 21.
[25] Vgl. Hering, Unternehmensbewertung, S. 5.
[26] Vgl. Matschke, BFuP 1971, 508.
[27] Vgl. Sieben, WISU 1983, 539.
[28] Vgl. IDW S 1 (2008), Rn 12.
[29] Vgl. IDW S 1 (2008), Rn 12.

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