Rz. 130

In § 199 Abs. 2 BewG räumt der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen in bestimmten Fällen, sofern keine Ableitung aus zeitnahen Verkäufen möglich ist, ein Wahlrecht ein, das sog. "vereinfachte Ertragswertverfahren" anzuwenden, wenn dieses nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Für die Finanzverwaltung stellt das vereinfachte Ertragswertverfahren das Referenzmodell dar und dient regelmäßig als Orientierungsgröße zur Bestimmung des gemeinen Werts.[239] Dieses Verfahren soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Möglichkeit bieten, ohne großen Ermittlungsaufwand und hohe Kosten für einen Gutachter einen objektivierten Anteils- bzw. Unternehmenswert auf Grundlage der Ertragsaussichten zu ermitteln.[240]

 

Rz. 131

Zur Bestimmung des Ertragswerts ist der zukünftig nachhaltig erzielbare Jahresertrag (§§ 201, 202 BewG) mit dem Kapitalisierungsfaktor nach Maßgabe des § 203 BewG zu multiplizieren. Der so zu ermittelnde Ertragswert bildet jedoch lediglich das betriebsnotwendige Vermögen ab. Daher sind anschließend Wirtschaftsgüter und mit diesen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehende Schulden, die aus dem zu bewertenden Unternehmen herausgelöst werden können, ohne die eigentliche Unternehmenstätigkeit zu beeinträchtigen (nicht betriebsnotwendiges Vermögen), separat anzusetzen. Auch Beteiligungen an Personen- und Kapitalgesellschaften sowie innerhalb von zwei Jahren vor dem Bewertungsstichtag eingelegte Wirtschaftsgüter sind mit ihrem gemeinen Wert hinzuzurechnen. Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist rechtsformneutral, d.h. auf Kapitalgesellschaften, Einzelunternehmen (einschließlich freiberuflich Tätige) und Personengesellschaften anwendbar.[241]

 

Rz. 132

Der Wert eines Unternehmens ist auch nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren zukunftsbezogen zu ermitteln. Grundlage für die Bewertung im vereinfachten Ertragswertverfahren bildet gem. § 201 Abs. 1 BewG der zukünftig nachhaltig zu erzielende Jahresertrag. Für die Ermittlung dieses Jahresertrags bietet der in der Vergangenheit tatsächlich erzielte Durchschnittsertrag eine Beurteilungsgrundlage (§ 201 Abs. 1 BewG). Dieser ist gem. § 201 Abs. 2 BewG regelmäßig aus den Betriebsergebnissen der letzten drei vor dem Bewertungsstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre herzuleiten. Grundlage des Betriebsergebnisses bildet der steuerliche Gewinn, welcher um bestimmte Aspekte anzupassen ist. Hierzu gehören u.a. Sonder-/Teilwertabschreibungen sowie Abschreibungen auf einen Geschäfts- oder Firmenwert, die Berücksichtigung eines angemessenen Unternehmerlohns, die Bereinigung außergewöhnlicher Ergebniseffekte, Aufwendungen und Erträge, die im Zusammenhang mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen stehen sowie die Eliminierung der Steuerbelastung. Das so ermittelte Ergebnis ist anschließend um einen pauschalen Ertragssteueraufwand in Höhe von 30 % zu mindern (§ 202 BewG).

 

Rz. 133

Der im vereinfachten Verfahren anzuwendende Kapitalisierungsfaktor beträgt für Stichtage ab dem 1.1.2016 per Gesetz 13,75.[242] Das Bundesministerium der Finanzen ist gem. § 203 Abs. 2 BewG jedoch ermächtigt, den Kapitalisierungsfaktor an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen. Bis zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.11.2016 resultierte der Kapitalisierungsfaktor noch aus einem jährlichen – mit BMF-Schreiben – veröffentlichten Basiszins zuzüglich eines gesetzlich fixierten, pauschalen Zuschlags von 4,5 %. Basiszinssatz und Zuschlag ergaben den Kapitalisierungszinssatz, dessen Kehrwert zum Kapitalisierungsfaktor führte.

 

Rz. 134

Aufgrund des seit Jahren sinkenden Zinsniveaus und dem daraus folgenden steigenden Kapitalisierungsfaktors wurde dem vereinfachten Verfahren vermehrt Kritik entgegengebracht.[243] Die Verminderung des Basiszinssatzes führte mithin zu einem Kapitalisierungsfaktor von bis zu 18,21 (im Jahr 2015 bei einem Basiszins von 0,99 %). Bei Einführung des vereinfachten Ertragswertverfahrens im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2009 betrug dieser noch 12,33. Mit der gesetzlichen Verankerung des festen Kapitalisierungsfaktors wird nunmehr das Zusammenspiel von (variablem) Basiszinssatz und (fixem) Zuschlag aufgegeben. Die Verringerung des Kapitalisierungsfaktors und die darin implizit enthaltene Anpassung des Zinssatzes an das veränderte Kapitalmarktumfeld sind grundsätzlich zu begrüßen. Die wesentlichen Kritikpunkte am vereinfachten Verfahren bleiben jedoch bestehen. Durch den Ansatz eines einheitlichen Kapitalisierungsfaktors werden alle Unternehmen über einen "Risikokamm geschoren".[244] Insbesondere für Unternehmen aus risikoreichen Branchen und/oder Unternehmen mit hoher Verschuldung wird das vereinfachte Ertragswertverfahren weiterhin regelmäßig zu Überbewertungen führen. Welche Auswirkungen sich bei gleichem Ergebnis aufgrund eines unterschiedlichen operativen Risikos und Kapitalstrukturrisikos ergeben können, wurde in Rdn 100 bereits dargestellt.

 

Rz. 135

Auch dem vere...

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