Rz. 91

Anknüpfend an seine Entscheidung in der Rs. Marks & Spencer hat der EuGH in der Folgezeit seine Rechtsprechung für die Fälle grenzüberschreitender Verlustverrechnung weiter konkretisiert.

1. Rs. Oy AA

 

Rz. 92

In der Entscheidung "Oy AA"[228] zur finnischen Gruppenbesteuerung ging es um die Voraussetzungen des gewinnwirksamen Abzugs des sog. Konzernbeitrags. Im vorliegenden Fall wurde ein von der in Finnland ansässigen Tochtergesellschaft an ihre im Vereinigten Königreich ansässige Muttergesellschaft zum Ausgleich der Verluste gezahlter Betrag als sog. Konzernbeitrag gewinnmindernd geltend gemacht. Nach der finnischen Regelung war jedoch Voraussetzung, dass sowohl der Zahlende des Beitrags (Tochtergesellschaft) als auch dessen Empfänger (Muttergesellschaft) im Sitzstaat der Tochtergesellschaft ansässig sind. Der EuGH hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass die Beschränkung der steuerlichen Geltendmachung eines Konzernbeitrags (Gewinnminderung) an eine andere Konzerngesellschaft auf reine Inlandssachverhalte nicht gemeinschaftswidrig sei. Der an sich gegebene Verstoß sei zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse Finnlands und zur Verhinderung von Steuerumgehungen gerechtfertigt.

 

Rz. 93

Während der EuGH in der Rs. Marks & Spencer zur Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit noch kumulativ alle drei Rechtfertigungsgründe (sog. Rechtfertigungstrias)

1. Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den EU-Mitgliedstaaten,
2. Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung und
3. Steuerfluchtgefahr

verlangte, genügt es seit der Entscheidung Rs. Oy AA nun, wenn lediglich zwei der drei Rechtfertigungsgründe erfüllt sind.

 

Rz. 94

Aufgrund der Vergleichbarkeit der Voraussetzungen der finnischen Konzernbeitragsregelung mit den Merkmalen der deutschen Organschaft erscheinen die Grundsätze dieser Entscheidung auch auf die deutschen Organschaftsregeln übertragbar,[229] so dass vor diesem Hintergrund die grenzüberschreitende Ausweitung der deutschen Organschaft nicht erforderlich erscheint und nur sichergestellt werden muss, dass definitive Verluste, d.h. Verluste, die nach dem ausländischen Steuerecht nicht mehr berücksichtigungsfähig sind, beim inländischen Organträger abziehbar sind.

[228] EuGH, Urt. v. 18.7.2007 – Rs. C-231/05, Slg. 2007, I-6373 = BB 2007, 702 = EuZW 2007, 634 = DStRE 2008, 285 ff.
[229] Vgl. Kussmaul/Niehren, IStR 2008, 81 ff.; vgl. FG Rheinland-Pfalz v. 17.3.2010, DStRE 2010, 802, 804; a.A. Giesler, Das Urteil Marks & Spencer – Auswirkungen auf die deutsche Organschaft, 2008, S. 36.

2. Rs. Lidl Belgium

 

Rz. 95

In einem jüngeren Urteil der Rs. "Lidl Belgium"[230] hatte der EuGH zu entscheiden, ob es mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, ex-Art. 43 EGV) vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat den Abzug von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte – im Gegensatz zu inländischen Betriebsstätten – nicht zulässt, weil er hinsichtlich der Betriebsstätteneinkünfte die Freistellungsmethode im Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) vereinbart hat. Konkret konnte ein deutsches Unternehmen Verluste seiner luxemburgischen Betriebsstätten nicht bei der Gewinnermittlung in Deutschland abziehen, da die entsprechenden ausländischen Betriebsstättengewinne aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens in Deutschland freigestellt und im Betriebsstättenstaat besteuert wurden, folglich die Berücksichtigung der Verluste ebenfalls im Betriebsstättenstaat zu erfolgen hatte.[231] Der EuGH bejahte in seinem Urteil zwar die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, da nur die Verluste von im Inland belegenen Betriebsstätten gewinnmindernd berücksichtigt werden können und dieser Steuervorteil deutsche Unternehmen davon abhalten könnte, ihre Tätigkeit über Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten auszuüben. Er kam aber zu dem Schluss, dass diese Beschränkung vor dem Hintergrund der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und zur Vermeidung doppelter Verlustberücksichtigung hinnehmbar sei. Die Regelung sei auch verhältnismäßig, da sie sowohl geeignet erscheint, die verfolgten Ziele zu erreichen, als auch angemessen ist, da sie nicht über das zur Erreichung der verfolgten Ziele Erforderliche hinausgeht. Die durch die luxemburgische Betriebsstätte entstandenen Verluste können in zukünftige Veranlagungszeiträume vorgetragen werden. Es handelt sich daher nicht um finale Verluste, wie es in der Rs. Marks & Spencer (Rs. C-446/03) der Fall war.

 

Rz. 96

Der EuGH bestätigt hiermit seine Rechtsprechung seit der Rs. Oy AA, dass es zur Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ausreiche, wenn zwei von drei akzeptierten Rechtfertigungsgründen[232] vorliegen. Im Übrigen folgt er mit seiner Entscheidung der bereits in der Rechtssache "Marks & Spencer" erkennbaren Linie, die Auswirkungen der unterschiedlichen Steuersysteme der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und die Aufteilung der Steuerhoheiten zwischen den M...

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