Rz. 96

Eine zweideutige Regelung ist das sogenannte "erweiterte" Kürzungsrecht nach § 2318 Abs. 3 BGB. Nach § 2318 Abs. 3 BGB kann der pflichtteilsberechtigte Erbe das Vermächtnis insoweit kürzen, als ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt. § 2318 Abs. 3 BGB ist aber immer im Hinblick auf § 2306 BGB zu sehen.

 

Beispiel

Erblasser E setzt seinen Sohn A zu seinem Alleinerben ein und vermacht seinem Freund F einen Vermächtnisanspruch i.H.v. 22.000 EUR. Der Nachlass hat einen Wert von 30.000 EUR. Der Sohn B ist enterbt und macht seinen Pflichtteil geltend.

Lösung

Der Sohn A muss nun den Pflichtteil des B i.H.v. 7.500 EUR auszahlen. Er kann aber nach § 2318 Abs. 1 BGB im Innenverhältnis das Vermächtnis um 5.500 EUR kürzen (7.500 EUR x 22.000 EUR : 30.000 EUR = 5.500 EUR). Der Sohn A muss demnach insgesamt 24.000 EUR (Vermächtnis 16.500 EUR und Pflichtteil 7.500 EUR) ausbezahlen. Ihm würden selbst nur 6.000 EUR verbleiben, also 1.500 EUR weniger als sein eigener Pflichtteil. Hier greift nun das erweiterte Kürzungsrecht des § 2318 Abs. 3 BGB ein. Der Sohn A kann das Vermächtnis zum Schutz seines Pflichtteils um weitere 1.500 EUR kürzen.

 

Rz. 97

Im Rahmen des § 2318 Abs. 3 BGB ist in der Praxis, nicht zuletzt durch die zweideutige Formulierung im Gesetz, die Frage aufgetreten, inwieweit der Pflichtteil des Erben immer durch § 2318 Abs. 3 geschützt ist. Nach h.M.[209] schützt § 2318 Abs. 3 BGB den Pflichtteil des Erben nur dann, wenn weitere Pflichtteilsansprüche hinzutreten, also nur in Ansehung der Pflichtteilslast. Das erweiterte Kürzungsrecht berechtigt zur Verteidigung des Pflichtteils "wegen einer Pflichtteilsschuld".[210] D.h., dass § 2318 Abs. 3 BGB den vollen Pflichtteil nur dann schützt, wenn das Vermächtnis und die Pflichtteilslast zusammen den eigenen Pflichtteil des Erben beeinträchtigen. Beeinträchtigt das Vermächtnis bereits allein den Pflichtteil des Erben, so ist dieser Pflichtteil durch § 2318 Abs. 3 BGB nicht geschützt. Denn schlägt der Erbe das seinen Pflichtteil belastende Vermächtnis nicht aus, so muss er dieses auch auf Kosten seines eigenen Pflichtteils voll tragen.[211]

Greift also das Vermächtnis als solches bereits den Pflichtteil des Erben an und hat der Erbe kein Recht darauf, dass ihm der Pflichtteil verbleibt, dann schützt § 2318 Abs. 3 BGB bei Hinzutreten weiterer Pflichtteilsansprüche nur den Betrag, den der Vermächtnisanspruch zum Zeitpunkt der Ausschlagungsmöglichkeit vom Pflichtteil des Erben noch nicht "aufgezehrt" hätte. Anders ausgedrückt, es wird dann nur der Teil des Pflichtteils geschützt, der zusätzlich durch hinzutretende Pflichtteilslasten beeinträchtigt wird. Im Einzelnen berechnet sich dies wie folgt:

 

Beispiel

Der Nachlass hat einen Wert von 30.000 EUR. Alleinerbe ist der Sohn A, Sohn B ist enterbt. Ein fremder Dritter X erhält ein Vermächtnis in Höhe von 24.000 EUR. Der Pflichtteilsanspruch von B beträgt 7.500 EUR. Wie weit kann der A den Vermächtnisanspruch des X kürzen?

Lösung

A kann nun gem. § 2318 Abs. 1 BGB das Vermächtnis des X dahingehend kürzen, dass dieser im Verhältnis 24.000 EUR : 6.000 EUR (4:1) die Pflichtteilslast zu tragen hat. Dies ergibt einen Kürzungsbetrag nach § 2318 Abs. 1 BGB von 6.000 EUR. Dem A würden so nach Auszahlung des Pflichtteils von 7.500 EUR und des Vermächtnisses von 18.000 EUR selbst nur 4.500 EUR verbleiben. Hier greift nun § 2318 Abs. 3 BGB ein, der besagt, dass dem A zumindest die 6.000 EUR (30.000 EUR abzgl. 24.000 EUR Vermächtnis) verbleiben müssen, die immer noch unter seinem Pflichtteilsanspruch von 7.500 EUR liegen. Der Schutzbereich des § 2318 Abs. 3 BGB führt aber nicht dazu, dass der A das Vermächtnis des X, um seinen Pflichtteil i.H.v. 7.500 EUR zu erhalten, um weitere 1.500 EUR kürzen darf, da er vergessen hat, gem. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB auszuschlagen, um seinen Pflichtteil geltend machen zu können.

 

Rz. 98

Dieckmann[212] schlägt vor, dass über den § 2318 Abs. 3 BGB der Pflichtteil des Erben auch dann zu schützen ist, wenn dieser bereits durch das Vermächtnis tangiert ist. Er begründet dies damit, dass so die "rechtspolitisch fragwürdige" Norm des § 2306 BGB korrigiert werden könnte. Nach § 2306 BGB ist die Problematik insoweit entschärft, als nunmehr derjenige, der mit Beschränkungen und Beschwerungen belastet ist, die Möglichkeit der Ausschlagung, unabhängig von der Höhe der ihm zugewiesenen Erbquote, hat.[213]

[209] BGH FamRZ 1985, 1023; Kipp/Coing, § 12 Abs. 2 2 d; MüKo/Lange, § 2318 Rn 11 ff.; v. Olshausen, FamRZ 1986, 24.
[210] BGH FamRZ 1985, 1024.
[211] BGH FamRZ 1985, 1024.
[212] Soergel/Dieckmann, § 2319 Rn 2.
[213] Vgl. im Übrigen zur Neuregelung des § 2306 BGB Krug/Riedel in Tanck/Krug, Anwaltformulare Testamente, § 14 Rn 12 ff.

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