Rz. 92

Gemäß § 2318 Abs. 1 BGB kann der Erbe gegenüber dem Vermächtnisnehmer das Vermächtnis kürzen, wenn er einen Pflichtteil auszahlen muss.[200] Der Vermächtnisnehmer hat sich insoweit an der Pflichtteilslast zu beteiligen. Das Kürzungsrecht des Erben nach § 2318 Abs. 1 BGB besteht dergestalt, dass der Vermächtnisnehmer im Verhältnis seiner Einsetzung, die Pflichtteilslast zu tragen hat. Die Pflichtteilslast wird also im Verhältnis von Erbeinsetzung und Vermächtnis verteilt. Das Kürzungsrecht des § 2318 Abs. 1 BGB kann, neben den Erben, auch nach § 2188 BGB den Vermächtnisnehmern selbst zustehen, wenn diese wiederum mit einem Untervermächtnis belastet sind. Sind mehrere Vermächtnisnehmer vorhanden, so ist jedem gegenüber ein verhältnismäßiges Kürzungsrecht gegeben. Im Einzelnen berechnet sich der Kürzungsanspruch wie folgt:

 

Beispiel

Der Erblasser E setzt seinen Freund F zum Alleinerben ein. Zugunsten seines weiteren Freundes A setzt er ein Vermächtnis von 20.000 EUR aus. Sein Sohn S, als einziger gesetzlicher Erbe, ist damit enterbt. Der Nachlasswert beträgt 100.000 EUR. S verlangt von F den Pflichtteil. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch und wer hat ihn zu erfüllen?

Lösung

Der Sohn S hat als einziger gesetzlicher Erbe einen Pflichtteilsanspruch von ½ des Nachlasses. Dies sind 50.000 EUR. Nach § 2318 Abs. 1 BGB kann F die Erfüllung des Vermächtnisses an A insoweit verweigern, als die Pflichtteilslast von ihm und dem Vermächtnisnehmer A verhältnismäßig getragen wird. Das Verhältnis zwischen Vermächtnis und Nachlass beträgt 20:100. Mithin muss sich A im Innenverhältnis zu F im Verhältnis 20/100 = 1/5 an der Pflichtteilslast beteiligen. 1/5 von 50.000 EUR sind 10.000 EUR. In dieser Höhe muss sich der Vermächtnisnehmer seinen Anspruch kürzen lassen. A kann daher Erfüllung des Vermächtnisses nur i.H.v. 20.000 EUR abzgl. 10.000 EUR verlangen. Bei F verbleibt die Pflichtteilslast i.H.v. 40.000 EUR. Der pflichtteilsberechtigte Sohn erhält als Pflichtteil 50.000 EUR. Der Freund erhält 40.000 EUR. Der weitere Freund A erhält 10.000 EUR.

 

Rz. 93

Erhält ein Beteiligter vermächtnisweise einen unteilbaren Gegenstand, so kann der Erbe bei der Geltendmachung des Vermächtnisses im Gegenzug den Kürzungsbetrag verlangen.[201] Lehnt der Vermächtnisnehmer dies ab, so ist der Erbe berechtigt, dem Vermächtnisnehmer den Wert des Vermächtnisses unter Abzug des Kürzungsbetrages auszubezahlen.[202]

 

Rz. 94

Strittig ist in diesem Zusammenhang, ob der Pflichtteilsanspruch bereits geltend gemacht worden sein muss, damit dem Erben das Kürzungsrecht des § 2318 BGB zusteht, oder ob bereits das Bestehen und die Erwartung der Pflichtteilsgeltendmachung genügt. Grundsätzlich darf eine Kürzung des Vermächtnisses nur erfolgen, wenn der Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Erben geltend gemacht wird,[203] der Erbe also tatsächlich wirtschaftlich in Anspruch genommen wird.[204] Dem steht es gleich, wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erben den Anspruch erlässt.[205] Die bloße Ankündigung einer Geltendmachung und die Aufforderung, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, genügt nicht.[206] Ist der Pflichtteilsanspruch verjährt, ist ein Kürzungsrecht ausgeschlossen. Haben die Erben den Pflichtteilsanspruch nicht berücksichtigt und das Vermächtnis in voller Höhe ausbezahlt, steht Ihnen ein Rückforderungsanspruch zu. Werden sie nun nachträglich mit einem Pflichtteil belastet, so ist ihnen gegenüber dem Vermächtnisnehmer ein Anspruch auf Rückzahlung des Kürzungsbetrages gemäß § 813 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2318 Abs. 3 BGB zu gewähren.[207] Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Pflichtteilsschuldner in Unkenntnis seines Kürzungsrechts, den Pflichtteil geleistet hat.[208]

[200] Vgl. zur Erbschaftsteuer im Falle der Kürzung nach § 2318 Abs. 1 BGB FG München EFG 2007, 270.
[201] Kipp/Coing, § 12 Abs. 2 2a.
[202] BGHZ 19, 309, 311.
[203] LG München NJW-RR 1989, 8; OLG Frankfurt FamRZ 1991, 238.
[204] OLG Zweibrücken ZErb 2006, 421.
[205] LG München NJW-RR 1989, 8.
[206] OLG Zweibrücken ZErb 2006, 421.
[207] Siehe v. Olshausen, FamRZ 1986, 524, 526 Fn 18.
[208] OLG Oldenburg FamRZ 1977, 267, 269.

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