Rz. 59

Der Zweite Abschnitt des Zweiten Buches des BGB (Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen) findet nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB keine Anwendung bei Verträgen bestimmter Rechtsgebiete, nämlich des

Erb-,
Familien- und
Gesellschaftsrechts[166] sowie auf
Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen,

womit die Regelung insoweit weitgehend § 23 Abs. 1 AGB-Gesetz (alt) ohne sachliche Änderung folgt.[167] Eine Neuregelung infolge der Schuldrechtsreform 2002 gilt für das Arbeitsrecht: Bei der Anwendung auf Arbeitsverträge sind gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten "angemessen zu berücksichtigen".

[166] Da sich bei Gesellschaftsverträgen in etwa gleich starke Partner gegenüber stehen und damit der Schutzzweck des AGB-Rechts nicht einschlägig sei – AnwK-Schuldrecht/Hennrichs, § 310 BGB Rn 20. Zum Problem, ob Verträge zum Erwerb einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung (die keine unternehmerischen Befugnisse vermittelt und nur zur Vermögensanlage gehalten wird) trotz § 310 Abs. 4 S. 1 BGB der AGB-Kontrolle unterliegen: Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 50 einerseits und AnwK-Schuldrecht/Hennrichs, § 310 BGB Rn 20 andererseits.
[167] Die Ausnahmen sind mit der Klausel-Richtlinie vereinbar – so AnwK-Schuldrecht/Hennrichs, § 310 BGB Rn 16: arg. Erwägungsgrund 10 der Klausel-Richtlinie.

1. Familien- und Erbrecht

 

Rz. 60

Die praktische Relevanz des Ausschlusses der § 305 ff. BGB für das Familien- und Erbrecht ist relativ gering, da für diese Bereiche (sieht man einmal für den Erbschaftskauf nach § 2371 BGB ab[168] – auf den sich die Freistellung gleichermaßen bezieht,[169] ebenso wie auch für Verträge über den vorzeitigen Erbausgleich nach § 311 lit. b Abs. 5 BGB) die Verwendung von Formularverträgen selten ist.

 

Rz. 61

 

Beachte

Verträge des Familienrechts sind allein solche, die die familienrechtlichen Beziehungen regeln (bspw. §§ 1372, 1408, 1585 lit. c bzw. 1587 lit. o BGB),[170] gleichermaßen (in analoger Anwendung) entsprechende Verträge zwischen registrierten Lebenspartnern.[171] Die Regelung erfasst damit nicht schuldrechtliche Verträge zwischen Ehegatten, registrierten Lebenspartnern, Verwandten und nichtehelichen Lebenspartnern.[172] Für Letztere kann ggf. aber die Bereichsausnahme für das Gesellschaftsrecht maßgeblich sein.[173] Mit Inkrafttreten des LPartG ist § 310 Abs. 4 S. 1 BGB auf Verträge des Lebenspartnerschaftsrechts (d.h. solche, die die lebenspartnerschaftlichen Beziehungen regeln) analog anwendbar.[174] Vgl. aktuell das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017[175], infolgedessen zum einen gemäß § 1309 Abs. 3 BGB neu die Möglichkeit einer Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare eröffnet und zum anderen nach § 20a LPartG neu die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe ermöglicht wird.

[168] Jauernig/Stadler, § 310 BGB Rn 10.
[169] Umstritten, so aber Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 48.
[170] Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 48.
[171] Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 48.
[172] Jauernig/Stadler, § 310 BGB Rn 10; Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 48.
[173] So Ulmer/Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, § 310 BGB Rn 117; Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 48.
[174] Palandt/Grüneberg, § 310 BGB Rn 48.
[175] BGBl. I 2017, 2787.

2. Gesellschaftsrecht

 

Rz. 62

Gesellschaften, die von der gesellschaftsrechtlichen Bereichsausnahme nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB erfasst werden, sind[176] die

Handelsgesellschaften (OHG und KG),
Stille Gesellschaft,[177]
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR),
Genossenschaft[178] bzw. der
Verein.[179]
 

Rz. 63

Damit unterliegen bspw. einer richterlichen Inhaltskontrolle allein am allgemeinen Maßstab des § 242 BGB[180] die Gesellschaftsverträge körperschaftlich strukturierter Publikumsgesellschaften[181] (und zwar sowohl formularmäßige Regelungen bei der Publikums-KG[182] als auch der Publikums-GmbH[183]) sowie die Satzung eines Vereins.[184]

 

Rz. 64

Von einem Unternehmer für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen unterliegen am Maßstab des § 242 BGB damit einer ähnlichen objektiven Auslegung und Inhaltskontrolle wie AGB-Klauseln[185] – Unklarheiten gehen zulasten des Unternehmers.[186] So soll bspw. eine die fahrlässige Pflichtverletzung nicht berücksichtigende Freizeichnungsklausel (da sie, wie in der Praxis üblich, nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit erfasst) jedenfalls für einen Schadensersatzanspruch aus Prospekthaftung (aus Verschulden bei Vertragsschluss, vgl. § 280 i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 1 BGB) unwirksam sein.[187]

 

Rz. 65

Die Schutzvorschriften des AGB-Rechts gelten in Bezug auf eine Nachhaftungsklausel in einem geschlossenen Immobilienfonds auch für Verbraucher, die sich an einer Gesellschaft beteiligen, die einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich ist:[188] Immobilienfonds haben nämlich mit Gesellschaftsrecht in der Sache nichts zu tun, da sie den sich beteiligenden Verbrauchern keinen unternehmerischen Einfluss gewähren. Daher muss eine AGB-K...

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