Rz. 30

Die Erstreckung der dreiwöchigen Klagefrist auf alle Kündigungen hat auch zu einer Neufassung des § 6 KSchG geführt, die seinerzeit zutreffend als nicht gelungen bewertet wurde (z.B. Bader, NZA 2004, 65; Quecke, RdA 2004, 86; Raab, RdA 2004, 321). Die Vorschrift lautet wie folgt:

 

Hat ein Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege geltend gemacht, dass eine rechtswirksame Kündigung nicht vorliege, so kann er sich in diesem Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen.

Danach setzt die "verlängerte Anrufungsfrist" voraus, dass der klagende Arbeitnehmer innerhalb der Drei-Wochen-Frist zumindest einen Unwirksamkeitsgrund zum Streitgegenstand gemacht hat. Ist dies der Fall, kann er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz auch noch weitere Unwirksamkeitsgründe in den Prozess einbeziehen. Es handelt sich um eine Präklusionsvorschrift (vgl. BAG v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10).

 

Beispiel

Ein Arbeitnehmer erhebt binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage auf Feststellung ihrer Unwirksamkeit, begründet seine Klage aber nur damit, der Betriebsrat sei nicht nach § 102 BetrVG angehört worden. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz kann er auch noch geltend machen, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus weiteren Gründen unwirksam.

§ 6 KSchG gilt sowohl für die ordentliche wie auch für die außerordentliche Kündigung, ebenso für die Änderungskündigung.

 

Rz. 31

Nach dem Wortlaut des § 6 KSchG scheidet die "Verlängerung der Anrufungsfrist" für folgende, eigentlich auch regelungsbedürftige, Fallgestaltung aus:

Ein Arbeitnehmer klagt binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung lediglich den Annahmeverzugslohn für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist ein. Er begründet seine Zahlungsklage damit, die Kündigung sei unwirksam, ohne die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung selbst zum Streitgegenstand zu machen.

Trotz des klaren Wortlauts des § 6 KSchG (dazu Schwarze/Eylert/Schrader, KSchG, § 6 Rn 5) sprechen gute Gründe dafür, die Verlängerung der Anrufungsfrist auch für diese und vergleichbare Fallgestaltungen durch eine analoge Anwendung des § 6 KSchG zuzulassen, zumal der Gesetzgeber selbst im Grunde genommen eine Einschränkung des Anwendungsbereiches dieser Vorschrift nicht beabsichtigt hatte (vgl. Raab, RdA 2004, 321, 329; zust. LAG Berlin-Brandenburg v. 16.12.2016 – 26 Sa 1892/15). Schließlich ist der Aussage des BAG zuzustimmen, dass der Anwendungsbereich des § 6 KSchG weit auszulegen ist (vgl. BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 182/94, NZA 1995, 417 = DB 1995, 684). Das BAG begründet dies damit, dass der Arbeitnehmer nicht aus formalen Gründen den Kündigungsschutz verlieren soll, wenn sein prozessuales Vorgehen Sinn und Zweck der §§ 4 ff. KSchG entspricht, nämlich dem Arbeitgeber alsbald Klarheit darüber zu verschaffen, ob er die Kündigung hinnimmt oder ihre Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen will.

 

Rz. 32

Nach § 6 S. 2 KSchG soll das ArbG den klagenden Arbeitnehmer auf die verlängerte Anrufungsfrist hinweisen. Diese Vorschrift steht in enger Verbindung mit § 139 Abs. 1 ZPO, wonach der Vorsitzende gehalten ist, u.a. dahin zu wirken, dass die Parteien die sachdienlichen Anträge stellen. Unterbleibt der nach § 6 S. 2 KSchG gebotene Hinweis, liegt ein Verfahrensmangel vor, der im Rechtsmittelzug geltend gemacht werden kann (APS/Hesse, § 6 KSchG Rn 23). Das BAG stellt aber keine hohen Anforderungen an die Hinweispflicht (BAG v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10).

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