Rz. 139

Grundsätzlich gilt im Straßenverkehrsrecht der Grundsatz der Präferenz- und Privilegienfeindlichkeit (siehe dazu § 39 Rdn 14). Das heißt, alle Verkehrsteilnehmer sind bei erlaubter Verkehrsteilnahme gleichrangig.[256]

 

Rz. 140

Allerdings sind bei hinreichend sachlichem Grund Sonderregelungen möglich (z.B. Ausnahme vom Halt- und Parkverbot für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder mit vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie blinde Menschen, StVO, Anlage 2, lfd. Nr. 63.2; Bewohner Städtischer Quartiere, StVO, Anlage 2, lfd. Nr. 63.3).[257]

Hierhin gehören auch Sonderregelungen für Taxistände (Zeichen 229), der Bahnvorrang (§ 19 StVO) oder auch das Haltverbot vor und in amtlich gekennzeichneten Feuerwehrzufahrten (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 StVO).

 

Rz. 141

Sonderwege sind in Anlage 2 zur StVO, Abschnitt 5, Zeichen 237 bis 245 geregelt: Radweg, Reitweg, Gehweg, Fußgängerbereich, Fahrradstraße, Bussonderfahrstreifen.

 

Rz. 142

Sonderrechte räumt die StVO der Bundeswehr, der Bundespolizei, der Feuerwehr, dem Katastrophenschutz, der Polizei und dem Zolldienst ein, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist (§ 35 Abs. 1 StVO). Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind gleichgestellt und damit befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden (§ 35 Abs. 5a StVO). Für Bau-, Unterhaltungs-, Reinigungs- oder Müllabfuhrfahrzeuge gilt § 35 Abs. 6 StVO.

 

Rz. 143

Wegerechtsfahrzeuge (§ 38 StVO): Das Sonderrecht aus § 35 Abs. 1 StVO und der nach § 38 Abs. 1 S. 2 StVO gegebene Anspruch dieser Fahrzeuge gegen alle übrigen Verkehrsteilnehmer, sofort freie Bahn zu schaffen, decken sich nicht. Die Rechte decken sich nur, wenn das Wegerechtsfahrzeug einem der in § 35 Abs. 1 StVO benannten Hoheitsträger angehört.[258] Zur rechtswirksamen Inanspruchnahme des Wegerechts gehört, dass das blaue Blinklicht (§ 52 Abs. 3 StVZO) und das Tonsignal des Einsatzhorns (§ 55 Abs. 3 StVZO) rechtzeitig zusammen zur Verfolgung der in § 38 Abs. 1 StVO aufgezählten Zwecke verwendet werden.[259]

 

Rz. 144

Die Fahrzeuge, die mit blauem Blinklicht (Rundumlicht) ausgerüstet sein dürfen, sind in § 52 Abs. 3 StVZO aufgezählt. Kraftfahrzeuge, die aufgrund des § 52 Abs. 3 StVZO blaues Blinklicht führen, müssen mit mindestens einer Warneinrichtung mit einer Folge von Klängen verschiedener Grundfrequenz (Einsatzhorn) ausgerüstet sein, § 55 Abs. 3 S. 1 StVZO. Das Einsatzhorn darf nur an Fahrzeugen angebracht sein, die nach § 52 StVZO blaues Blinklicht führen dürfen.[260]

 

Rz. 145

Zum Begriff "Kfz des Rettungsdienstes" (§ 52 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 StVZO) sind die Rettungsdienstgesetze der Länder heranzuziehen.[261] Kraftfahrzeuge des Rettungsdienstes i.S.v. § 52 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 StVZO sind die Kraftfahrzeuge, die von den nach dem jeweiligen Landesrecht zuständigen Trägern des öffentlichen Rettungsdienstes oder den von den Aufgabenträgern konzessionierten privaten Leistungserbringern im Rahmen des öffentlichen Rettungsdienstes zur Notfallrettung oder zum Krankentransport eingesetzt werden (institutioneller Begriff des Rettungsdienstes).[262]

 

Rz. 146

Fahrzeuge des Blutspendedienstes dürfen nach Streichung von § 52 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 StVZO nicht mehr mit dem Rundumlicht ausgerüstet werden, Ausnahmegenehmigungen (§ 70 StVZO) sind aber möglich.[263]

 

Rz. 147

Grundsätzlich müssen andere Verkehrsteilnehmer der Verpflichtung des § 38 Abs. 2 StVO, dem Sonderrechtsfahrzeug sofort freie Bahn zu schaffen, erst nachkommen, nachdem sie diese Signale wahrgenommen haben oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten wahrnehmen müssen. Dabei muss diesen anderen Verkehrsteilnehmern eine zwar kurz bemessene, aber doch hinreichende Zeit zur Verfügung stehen, um auf die besonderen Zeichen nach § 38 Abs. 1 StVO reagieren zu können.[264]

 

Rz. 148

Das Gebot, freie Bahn zu verschaffen, wird allein durch Blinklicht und Einsatzhorn ausgelöst; es ist von anderen Verkehrsteilnehmern sofort und unbedingt ohne Prüfung der Berechtigung zu befolgen. Es besteht eine Verpflichtung des Kraftfahrers zu Vorkehrungen dafür, dass Signale im Wageninnern gehört werden können.[265]

 

Rz. 149

In diesem Zusammenhang können sich auch Haftungs- und insbesondere Amtshaftungsfragen stellen.

Das Wegerechtsfahrzeug bleibt grundsätzlich an die Verkehrsregeln gebunden, nur dürfen andere Verkehrsteilnehmer, die freie Bahn schaffen müssen, ihren Vortritt ausnahmsweise nicht ausüben.[266]

Das Sonderrecht des § 35 Abs. 6 StVO gewährt keine allgemeine Befreiung von den Verkehrsvorschriften, sondern nur in dem durch ihren Einsatz erforderlichen Umfang.[267]

 

Rz. 150

Nur blaues Blinklicht und Einsatzhorn zusammen verschaffen das Vorrecht.[268] Der Wegerechtsfahrer muss den anderen Verkehrsteilnehmern notwendig eine gewisse Zeit einräumen, um auf seine Zeichen reagieren zu können. Dabei sind keine zu geringen Anforderungen zu stellen. Bei Einfahren in eine durch Rotlicht gesperrte Kreuzung ohne rechtzeitig...

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