1. Allgemeines

 

Rz. 19

Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung subsumierte auch nach dem Sitzblockadebeschluss dichtes Auffahren unter wesentlicher Verkürzung des Sicherheitsabstandes unter den Gewaltbegriff (OLG Karlsruhe StraFo 1998, 97; OLG Köln DAR 2007, 39). Das hat auch das BVerfG (zfs 2007, 352) gebilligt.

 

Rz. 20

Allerdings genügt die Feststellung des dichten Auffahrens alleine auch hier nicht. Es sind vielmehr die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die gefahrenen Geschwindigkeiten, die Abstände der Fahrzeuge zueinander sowie die Dauer bzw. die Streckenlänge des bedrängenden Auffahrens von Bedeutung, denn nur so kann festgestellt werden, ob das Verhalten des Auffahrenden den der körperlichen Zwangseinwirkung vergleichbaren Grad an psychischer Beeinflussung erreichen konnte (OLG Karlsruhe StraFo 1998, 97), zumal bloße Behinderungen oder Belästigungen allenfalls Ordnungswidrigkeiten darstellen.

 

Rz. 21

 

Achtung: Auch im innerstädtischen Verkehr möglich

Trotz der dort niedrigeren Geschwindigkeiten ist eine Nötigung durch bedrängendes Auffahren auch im innerstädtischen Verkehr möglich (OLG Köln DAR 2007, 39), eine Auslegung die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG zfs 2007, 352).

2. Setzt intensiven Eingriff voraus

 

Rz. 22

Grundsätzlich kann eine Nötigung im Straßenverkehr nur dann vorliegen, wenn es sich um einen Vorgang von einiger Dauer und größerer Intensität handelt, was z.B. dann der Fall ist, wenn der Täter bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h über mehrere Kilometer sehr dicht auf das vorausfahrende Fahrzeug auffährt (BGHSt 19, 263; OLG Stuttgart DAR 1998, 153). Daran fehlt es aber, wenn infolge des Verkehrsstaus auf einem Parkplatz nach einem Großereignis der Straßenverkehr ohnehin zum Erliegen gekommen ist, so dass der vermeintlich Genötigte unabhängig vom Verhalten des Beschuldigten sein Fahrzeug ohnehin nicht hätte weiterbewegen können (LG Essen NZV 2013, 456).

3. Streckenlänge

 

Rz. 23

Selbst wenn der Hintermann drängelt und unter Betätigung der Lichthupe bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h bis auf 5 m auf den Vordermann auffährt, liegt bei einer Strecke von lediglich 170 m eine Nötigung nicht vor (BayObLG DAR 1990, 231), nicht einmal, wenn bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h der Abstand gerade einmal 50 cm beträgt, solange die "Verfolgungsstrecke" nicht länger 150 m ist (OLG Hamm DAR 1990, 392).

4. Extrem kurzer Abstand

 

Rz. 24

Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, dass bei einem extrem kurzen Abstand allein schon wegen der Intensität eines solchen Angriffes unabhängig von der zeitlichen Dauer, d.h. also auch bei kurzer Wegstrecke, Gewalt vorliegt (OLG Köln NZV 1992, 371; OLG Stuttgart DAR 1995, 261).

 

Rz. 25

 

Tipp

Das BayObLG (DAR 1991, 376) und das OLG Hamm (DAR 1990, 392; NZV 2006, 388) sind anderer Ansicht. Nach ihrer Auffassung reicht alleine der extrem kurze Abstand nicht aus; das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Intensität des Eingriffs beinhalte vielmehr gleichzeitig auch ein Zeitmoment und könne deshalb nur erfüllt sein, wenn der Fahrvorgang eine gewisse Zeit andauere, da er nur dann geeignet sei einen durchschnittlichen Kraftfahrer in Furcht und Schrecken zu versetzen.

5. Nur Kurzzeitig

 

Rz. 26

Bei einem kurzzeitigen (hier insgesamt nur 14 Sekunden dauernden) Verkehrsvorgang fehlt es deshalb regelmäßig an der für die Bejahung der Gewalt notwendigen längeren Dauer (BayObLG NZV 1993, 357; OLG Frankfurt zfs 2003, 469; OLG Hamm zfs 2006, 611; OLG Köln zfs 2013, 712).

6. Achtung: Auffahren mit hoher Differenzgeschwindigkeit

 

Rz. 27

Wer auf der Autobahn mit hoher Differenzgeschwindigkeit nahe auf den Vordermann auffährt, begeht nicht nur eine Nötigung, sondern u.U. auch eine Straßenverkehrsgefährdung durch falsches Überholen gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB, denn der Überholvorgang beginnt bei einem schon vorher links fahrenden Fahrzeug mit deutlicher Verringerung des Sicherheitsabstands (LG Karlsruhe NZV 2005, 274 = "Autobahnraserfall").

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