Rz. 60

Die Bußgeldbehörde darf "Blitzerdaten" durch private Unternehmen auswerten lassen.[127] Die Auswertung von Rohdaten einer Geschwindigkeitsmessung durch ein privates Unternehmen im Auftrag der Bußgeldbehörde begründet kein Beweisverwertungsverbot im Bußgeldverfahren. Die vertraglich vereinbarte Auswertung der mit standardisierten Messverfahren bei behördlichen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen ordnungsgemäß erhobenen und bei der Verwaltungsbehörde verbliebenen Rohmessdaten durch einen privaten Dienstleister ist zulässig und führt für sich genommenen zu keinem Beweisverwertungsverbot im weiteren Bußgeldverfahren.[128]

 

Rz. 61

Danach darf die Übertragung der Auswertung der anlässlich einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme erhobenen Rohdaten an einen privaten Dienstleister, dessen Mitarbeiter von der Verwaltungsbehörde insoweit als Sachverständige oder als sachverständige Zeugen in Anspruch genommen werden (vgl. zu dieser Möglichkeit auch im verwaltungsbehördlichen Bußgeldverfahren § 46 Abs. 2 OWiG i.V.m. §§ 72 ff., 161 Abs. 1 S. 1 StPO: "Ermittlungen jeder Art").[129]

 

Rz. 62

Ob die Tätigkeit der für derartige Aufgaben herangezogenen Sachverständigen, deren Sachkunde und Verfahrensweisen im konkreten Fall den jeweiligen wissenschaftlichen und technischen Anforderungen genügt, und ob deren Feststellungen und Bewertungen als richtig erscheinen und im weiteren Verfahren verwertbar sind, unterliegt der eigenverantwortlichen Prüfung und Kontrolle des Gerichts bzw. im Vorverfahren derjenigen der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde, die erforderlichenfalls regulierend einzugreifen hat (vgl. § 78 StPO).[130]

 

Rz. 63

Wird die Auswertung von Rohdaten eines Verkehrsüberwachungsvorgangs einem privaten Dienstleister überlassen, wird sich das Gericht und zuvor die Verfolgungsbehörde deshalb im Zweifelsfall davon zu überzeugen haben, dass

diese Tätigkeit dort von ausreichend dafür geschulten und
regelmäßig hinsichtlich ihrer ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung überwachten Mitarbeitern
unter Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Verfahrensweisen und
mittels der im Zuge der Zulassung eines standardisierten Messverfahrens von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt genehmigten Software

erfolgt.

Insoweit gilt nichts anderes als für die Prüfung, ob der eigentliche Messvorgang im Straßenverkehr gemäß den dafür bestehenden rechtlichen und technischen Vorgaben durchgeführt worden ist.[131]

 

Rz. 64

Hat sich die Verwaltungsbehörde im vorstehenden Sinne die Überzeugung davon verschafft, dass die Datenaufbereitung und -auswertung durch den privaten Anbieter ordnungsgemäß erfolgt ist, so dass Zweifel an der Richtigkeit des erzielten Resultats nicht bestehen, ist sie nicht daran gehindert, auf der Grundlage dieses für zutreffend erachteten Beweisergebnisses die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen festzustellen und ggf. entsprechenden Bußgeldbescheid zu erlassen. Erst dabei handelt es sich wieder um eine originär hoheitliche Tätigkeit, die ohne gesonderte Beleihung nicht auf Private übertragen werden darf.[132]

 

Rz. 65

Darauf, ob die Verwaltungsbehörde "erlasswidrig" handelte, als sie die Datenaufbereitung und -auswertung einem privaten Dienstleister übertrug, kommt es nicht an. Selbst wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, würde dies für sich genommen nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen, weil dieser Erlass, der allein dem öffentlichen Interesse der Organisation des Messvorgangs und seiner Auswertung dient, ausschließlich im Binnenverhältnis zwischen Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde Bindungswirkung entfaltet, nicht jedoch eine mit der Begründung subjektiver Rechte verbundene Außenwirkung, auf die sich ein Betroffener im Falle der Nichtbeachtung zu seinen Gunsten berufen könnte.[133]

 

Rz. 66

Ein zögerliches Auskunftsverhalten der Verwaltungsbehörde während des gerichtlichen Bußgeldverfahrens hat keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit der vorhandenen Messdaten als Beweismittel. Es kann insbesondere nicht zu einem diesbezüglichen Verwertungsverbot führen. Soweit das Gericht die Einsicht in den zwischen dem Landkreis und dem Dienstleistungsanbieter geschlossenen Vertrag für zwingend erforderlich erachtet, besteht die Möglichkeit, sich diesen mit den gesetzlich dafür vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen zu beschaffen.[134] Hegt der Tatrichter Zweifel an einer den Vorgaben des Geräteherstellers und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt im Zuge der Zulassung des standardisierten Messverfahrens entsprechenden ordnungsgemäßen Auswertung der Messdaten durch den privaten Dienstleister, gebietet es die richterliche Aufklärungspflicht, die Richtigkeit des Auswertungsergebnisses durch andere sachverständige Stellen überprüfen zu lassen.[135]

[127] OLG Rostock, Beschl. v. 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 und 21 Ss OWi 161/15: Der Landkreis Ludwigslust-Parchim hatte gegen mehrere Autofahrer Bußgeldbescheide wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen erlassen. Die Bescheide basierten auf Messergebnissen eines privaten Unternehmens, das vom Lan...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge