1. Neuorientierung des Gesetzes

 

Rz. 51

Mit § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG beschreitet der Gesetzgeber völliges Neuland. Bislang hatte die Eigentümerversammlung im Grundsatz über jede Maßnahme zu beschließen. Selbst die gewollte und ausdrückliche Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf den Verwalter wurde in der Rechtsprechung mit außerordentlicher Zurückhaltung behandelt. Eine solche Übertragung von Entscheidungsbefugnissen durch Beschluss etwa über Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung und über den Abschluss oder die Kündigung von Verträgen wurde entweder als gänzlich unwirksam angesehen, da diese Kompetenzverlagerung vom gesetzlichen Leitbild abweiche,[53] oder doch auf Klein(st)beträge beschränkt.[54] Diese zurückhaltende Handhabung führte in der Praxis zu einer Vielzahl außerordentlicher Eigentümerversammlungen, deren Kosten häufig als überflüssig und außer Verhältnis zum Beschlussgegenstand angesehen wurden. Von dieser engherzigen Sichtweise weicht der Gesetzgeber jetzt zum einen dadurch ab, dass er nunmehr – und das an erster Stelle in § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG – Beschlüsse für bestimmte Maßnahmen grundsätzlich für entbehrlich erklärt und andererseits den Spielraum der Mehrheit noch darüber hinaus erweitert.

[53] OLG München ZMR 2009, 66; LG Frankfurt/M. ZMR 2018, 62, 63.
[54] So wurde bei 222 Wohneinheiten eine Alleinentscheidungsbefugnis des Verwalters bis 2.500 EUR, bei zusätzlich erforderlicher Zustimmung des Verwaltungsbeirates bis 5.000 EUR zulässig befunden (LG München I ZMR 2018, 72, 73), teilweise wurde auch auf die Einzelbelastung der Wohnungseigentümer abgestellt und hier 55 EUR noch als zulässig angesehen (AG Pinneberg ZMR 2018, 463, 464).

2. Entbehrlichkeit einer Beschlussfassung

a) Fortführung früheren Rechtes zu beschlussfreien Befugnissen

 

Rz. 52

Der Gesetzgeber wollte die Möglichkeit des Verwalters, ohne Beschlussfassung tätig zu werden, durch § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG ausschließlich erweitern. Deswegen verbleibt es auch ohne diesbezügliche Vorgaben in Gesetzestext und -materialien bei den Befugnissen, die dem Verwalter schon früher ohne Entscheidung der Eigentümerversammlung zukamen, bei der Entbehrlichkeit der Beschlussfassung. Der Verwalter hat also im Rahmen seiner früher in § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG a.F. geregelten Tätigkeit ohne diesbezüglichen Beschluss die Liegenschaft zu begehen, Mitteilungen über Mängel des Gemeinschaftseigentums nachzugehen, im Rahmen der Finanzverwaltung Vorlagen für Wirtschaftspläne und Jahresabrechnungen zu erstellen und mindestens einmal im Jahr die Eigentümerversammlung einzuberufen.

b) Maßnahmen untergeordneter Bedeutung ohne erhebliche Verpflichtungen

 

Rz. 53

Weniger klar ersichtlich sind die Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit einer Beschlussfassung nach neuem Recht. Die ursprüngliche Formulierung im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu Maßnahmen, "über die eine Beschlussfassung durch die Wohnungseigentümer nicht geboten ist," erschien dem Rechtsausschuss zu unbestimmt.[55] Er ersetzte sie durch die Umschreibung, wonach die beschlussfreien Maßnahmen nur "untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen" dürfen. Erheblich bestimmter ist auch dies nicht, was die Gesetzesmaterialien implizit einräumen, wenn sie ausführen, "dass eine generalisierende Einordnung in die Kategorien "untergeordnete Bedeutung" mit "nicht erheblichen Verpflichtungen" nicht möglich ist."[56]

[55] BT-Drucks 19/22634, S. 46.
[56] BT-Drucks 19/22634, S. 47.

c) Definition der Maßnahmen, über die keine Beschlussfassung erforderlich ist

 

Rz. 54

Folglich definieren die Gesetzesmaterialien die beschlussfreien Maßnahmen nur durch allgemein gehaltene Bemerkungen. Der Kreis der Maßnahmen, der nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG keiner Beschlussfassung bedarf, wachse mit der Größe der Anlage.[57] Hieraus lässt sich immerhin entnehmen, dass es anders als in der Rechtsprechung nach früherem Recht für die Delegation von Aufgaben auf den Verwalter keine starren Obergrenzen geben soll. Die unerhebliche Verpflichtung bemesse sich an dem Anteil, für den der einzelne nach § 9a Abs. 4 WEG hafte.[58] Als Beispiele für beschlussfreie Maßnahmen nennen die Gesetzesmaterialien kleinere Reparaturen, den Austausch von Leuchtmitteln und zerbrochenen Fenstern und die Beseitigung von Graffitis im Gegensatz zu kostenträchtigen Sanierungsmaßnahmen.[59]

[57] BT-Drucks 19/22634, S. 47.
[58] BT-Drucks 19/22634, S. 47.
[59] BT-Drucks 19/22634, S. 47.

d) Weitere Kriterien

 

Rz. 55

Maßgeblich ist die konkrete Beschaffenheit der Liegenschaft. Dabei dürfte die Größe nur ein Kriterium sein. Hinzu kommen mindestens noch ihr baulicher Zustand und die finanzielle Ausstattung. In einer bestens instandgehaltenen Liegenschaft dürfte selbst eine größere Reparatur eher der Entscheidungsbefugnis des Verwalters zuzuordnen sein als in einer vernachlässigten Anlage, in der schon die Reihenfolge der Erhaltungsmaßnahmen diskussionsbedürftig ist. Entsprechendes gilt für die Finanzausstattung. Ist die Instandhaltungsrücklage nicht ausreichend, bedarf es schon aus Gründen der Finanzierung einer Entscheidung der Eigentümerversammlung, während der Verwalter bei gut gefüllter Kasse einen weiteren Entscheidungsspielraum haben dürfte. Von Bedeutung ist ferner die Dringlichkeit einer Maßnahme. Entspricht nur deren Durchführung ordnungsmä...

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