Rz. 15

Der BGH hat in seinem mit Spannung erwarteten ersten Urteil zum Fristanlauf bei Vorbehalt eines Wohnungsrechtes vom 29.6.2016[17] für den konkret zu entscheidenden Fall den Anlauf der Frist angenommen, geht aber davon aus, dass auch bei lebzeitiger Zuwendung von Grundbesitz unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts an diesem oder Teilen hieran ausnahmsweise der Anlauf der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB gehemmt sein kann.

 

Rz. 16

Der Kläger machte Pflichtteilsergänzungsansprüche nach seinem am 16.8.2012 verstorbenen Vater geltend. Mit Vertrag vom 8.12.1993 übertrug der Erblasser ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf den Bruder des Klägers. Hierbei wurde ein Wohnungsrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss vorbehalten, das auch die Mitbenutzung des Gartens, der Nebenräume sowie aller Leitungen und Anlagen zur Versorgung des Anwesens mit Wasser, Wärme, Energie und Entsorgung umfasste. Ferner wurde vereinbart, dass die Eltern die Garage weiterhin unentgeltlich nutzen konnten und der übernehmende Sohn das Grundstück zu Lebzeiten der Eltern weder veräußern noch darauf ohne ihre Zustimmung Um- oder Ausbaumaßnahmen vornehmen durfte. Auf die Absicherung der Veräußerungsbeschränkung in Form einer Rückauflassungsvormerkung wurde ausdrücklich verzichtet. Schließlich gestatteten die Eltern dem Übernehmer, Grundpfandrechte bis zur Höhe von 200.000 DM nebst Zinsen und Nebenleistungen für beliebige Gläubiger zur Eintragung im Rang vor dem Wohnungsrecht zu bewilligen. Die Grundbucheintragung erfolgte am 22.11.1994. Der Kläger hielt die Grundstücksübertragung für eine bei der Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs zu berücksichtigende Schenkung. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hatte die Berufung zurückgewiesen.

 

Rz. 17

Auch die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der BGH führt in seinem Urteil zunächst aus, dass die sog. Genussrechtsprechung des Senats aus 1994[18] auch für die Fälle des Vorbehalts eines Wohnungsrechtes gelten. Die Frage, ob und inwieweit auch vorbehaltene Wohnrechte an dem übertragenen Grundstück einem Fristbeginn im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB entgegenstehen können, lasse sich nicht abstrakt beantworten. Zwar unterscheiden sich Nießbrauch und Wohnungsrecht voneinander. So sei der Nießbraucher insbesondere berechtigt, die Nutzungen der Sache zu ziehen. Ferner könne der Nießbrauch zwar nicht übertragen, wohl aber seine Ausübung einem anderen überlassen werden. Demgegenüber stelle das Wohnungsrecht lediglich eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit dar, durch die der Berechtigte das Recht erhalte, ein Gebäude oder einen Teil desselben unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu nutzen. Die Ausübung dieser Dienstbarkeit könne einem anderen nur überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet werde. Dies bedeutete aber nicht, dass nicht auch – in Ausnahmefällen – bei der Einräumung eines Wohnungsrechts der Beginn des Fristablaufs gehindert sein kann. Maßgebend seien die Umstände des Einzelfalles, anhand derer beurteilt werden müsse, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Die entscheidenden Grundsätze habe der Senat in seinem Urt. v. 27.4.1994 aufgestellt. Hiernach gelte eine Schenkung nicht als im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB geleistet, wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss. Eine Leistung liege vielmehr nur vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.

 

Rz. 18

Auf dieser Grundlage sei es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht hier von einem Fristbeginn bereits mit der Eintragung im Grundbuch am 22.11.1994 ausgegangen ist, sodass die Zehnjahresfrist im Zeitpunkt des Erbfalls am 16.8.2012 abgelaufen war. Bestehe das im Wohnungsrecht verankerte Ausschließungsrecht nur an Teilen der übergebenen Immobilie, so sei der Erblasser – anders als beim Vorbehalt des Nießbrauchs – mit Vollzug des Übergabevertrages nicht mehr als "Herr im Haus" anzusehen. Entscheidend sei zudem, dass den Eltern jedenfalls kein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht unter Ausschluss des übernehmenden Sohnes an dem Grundstück mehr zustand. Ihr Hausgrundstück konnten die Eltern nicht mehr in der bisherigen Art und Weise nutzen. Die ihnen vertraglich eingeräumte Dienstbarkeit hätten sie nur dann einem anderen überlassen können, wenn die Überlassung gestattet worden wäre. Ein derartiges Überlassungsrecht war den Eltern hier nicht vorbehalten worden. Durch den Verlust der Eigentümerstellung, das nur an Teilen des Grundstücks bestehende Wohnungsrecht sowie die fehlende Übertragbarkeit auf Dritte ist die rechtliche Stellung des Erblassers einschließlich der wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Grundstücks jedenfalls deutlich eingeschränkt worden. Auch der Umstand, dass der Übernehmer ohne Zustimmu...

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