Rz. 344

Auch grob fahrlässige Unkenntnis von Schaden und Schädiger setzt die Verjährung in Lauf. Die Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. hatte die grob fahrlässige Unkenntnis generell nicht in den Verjährungslauf einbezogen und nur die missbräuchliche Nichtkenntnis der verlangten Kenntnis gleichgesetzt (siehe Rdn 328 f.). Eine Schadenersatzforderung verjährte ohne positive Kenntnis des Geschädigten nur, wenn verabsäumt wurde, eine auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit zu ergreifen. Bedurfte es nur noch weiterer einfacher Nachfragen, um Kenntnis von der Person des Schädigers zu erlangen, war die Berufung auf Unkenntnis formalistisch und missbräuchlich.

 

Rz. 345

Durch die Einbeziehung der grob fahrlässigen Unkenntnis ging die Novellierung über die vorherige Rechtslage (d.h. die Fälle des missbräuchlichen Kenntnisentzuges) hinaus und fordert vom Geschädigten (und auch dessen Rechtsnachfolgern), sich verschärft um die Verfolgung seiner Ansprüche zu kümmern. Die Neufassung entspricht letztlich dem Rechtsgedanken des § 277 BGB, wonach grobe Fahrlässigkeit stets auch dann schadet, wenn man in eigenen Angelegenheiten unsorgfältig handelt; Kenntnisnahme von der Existenz eines Anspruchs sowie der Person des Schuldners ist eine eigene Angelegenheit eines jeden Gläubigers.

 

Rz. 346

Grobe Fahrlässigkeit bedeutet eine objektiv schwere, ungewöhnlich krasse Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, also ein Fehlverhalten, welches auch subjektiv nicht entschuldbar ist und den gewöhnlichen Umfang erheblich übersteigt. Die inhaltlichen Anforderungen an den Begriff der groben Fahrlässigkeit richten sich immer auch an dem Rechtsumfeld aus, für das der Vorwurf geprüft wird.[285] Grob fahrlässig handelt demnach, wer die von ihm zu fordernde Sorgfalt in einem ungewöhnlich groben Maße verletzt hat, indem er alles das unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.[286] Man kann zur Einschätzung auf die Rechtsprechung zu §§ 277, 300, 521, 599, 680, 968 BGB, § 61 VVG a.F.,[287] eher mit Zurückhaltung auch zu § 640 RVO und § 110 SGB VII,[288] zugreifen.

 

Rz. 347

Die Beweislast für grob fahrlässige Unkenntnis hat der Schädiger.[289]

[285] BGH v. 28.2.1978 – VI ZR 91/77 – r+s 1978, 146 = VersR 1978, 441.
[286] BT-Drucks 14/6040, S. 108 m.w.N. Jahnke/Burmann-Lemcke, Handbuch des Personenschadensrechts, 1. Aufl. 2016, Kap. 6 Rn 683.
[287] BGH v. 12.10.1988 – IVa ZR 46/87 – MDR 1989, 337 = NJW-RR 1989, 213 = r+s 1989, 62 = VersR 1989, 141 = VRS 76, 273 = zfs 1989, 140; BGH v. 23.1.1985 – IVa ZR 128/83 – BB 1985, 697 = DAR 1985, 222 = JZ 1985 499 = MDR 1985, 557 = NJW 1985, 2648 = r+s 1985, 80 = VersR 1985, 440. BGH v. 7.4.1970 – VI ZR 217/68 – VersR 1970, 622.
[288] BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 57/88 – VersR 1989, 582; BGH v. 12.1.1988 – VI ZR 158/87 – MDR 1988, 488 = NJW 1988, 1265 = r+s 1988, 171 (nur Ls.) = VersR 1988, 474 = zfs 1988, 210. Siehe auch Lemcke/Heß, Der Regress des Sozialversicherers nach § 110 SGB VII, r+s 2007, 221 mit einer Urteilszusammenstellung.
[289] LSG Hamburg v. 14.6.2017 – L 2 AL 6/17 – juris; Jahnke/Burmann-Lemcke, Handbuch des Personenschadensrechts, 1. Aufl. 2016, Kap. 6 Rn 684.

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