A. Bisherige Rechtslage

I. Grundsatz der Nachlassspaltung

 

Rz. 1

Eine eigenständige Kollisionsnorm für die Anknüpfung des Pflichtteilsrechts hat das EGBGB nicht bereitgestellt; vielmehr unterfielen alle diesbezüglichen Fragen, etwa die Ausgestaltung als echtes Noterbrecht (mit dinglicher Beteiligung am Nachlass) oder als schuldrechtlicher Anspruch auf Geldzahlung, ob überhaupt Pflichtteilsrechte bestehen, der Kreis der Pflichtteilsberechtigten, die Höhe des Pflichtteilsrechts, etc. bislang dem über Art. 25 Abs. 1 EGBGB anzuknüpfenden Erbstatut (bislang also dem Heimatrecht des Erblassers; bzw. dem gem. Art. 25 Abs 2 EGBGB – bei Immobilien – gewählten deutschen Recht, zukünftig der ErbVO und damit dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt oder dem Heimatrecht, sofern dieses nach Art. 22 ErbVO gewählt wurde).

 

Rz. 2

Grundsätzlich richtete sich daher bislang – aus deutscher Sicht – nicht nur die Erbfolge, sondern auch das Pflichtteilsrecht in Bezug auf den gesamten Nachlass weltweit nach dem Recht, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser besitzt. Diese Anknüpfung wurde aber – ebenso wie die Anknüpfung des anwendbaren Rechts hinsichtlich der Erbfolge als solcher – durchbrochen, wenn der Tatbestand des Art. 3a Abs. 2 EGBGB vorliegt.

 

Beispiel:

Der deutsche Erblasser hat zwei Söhne, ein Sohn ist enterbt worden. Zum Nachlass des Erblassers gehört eine Immobilie in (z.B.)

Australien
Belgien
Frankreich
Großbritannien
Kanada
Monaco
Südafrika
USA

Über Art. 25 Abs. 1 EGBGB kam es wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Erblassers aus deutscher Sicht grundsätzlich zur Anknüpfung (auch) des Pflichtteilsrechts an das deutsche Recht, der Pflichtteilsanspruch richtete sich also grundsätzlich nach §§ 2303 ff. BGB. Die Anknüpfung über Art. 25 EGBGB galt jedoch gem. Art. 3a Abs. 2 EGBGB nicht im Hinblick auf Vermögen, für welches das Recht des Lageortes eine besondere Vorschrift vorsieht. Da die oben bezeichneten Länder die Rechtsnachfolge in Immobilien besonders regeln bzw. regelten, nämlich dafür in Abweichung ihrer sonstigen Anknüpfungsregelung das Recht des Lageortes vorsehen,[1] war der Tatbestand des Art. 3a Abs. 2 EGBGB erfüllt mit der Rechtsfolge, dass sowohl die Erbfolge als solche, wie auch das Pflichtteilsrecht nicht deutschem Recht unterfielen, sondern dem Recht am Lageort der Immobilie (es kam zur Nachlassspaltung, vgl. dazu § 3 Rn 66, 86, Fall 11 und 14).

 

Rz. 3

Hatte der deutsche Erblasser einen (nach deutschem Recht) Pflichtteilsberechtigten enterbt (hier den einen Sohn, vgl. § 2303 BGB), so entstand für diesen im Hinblick auf das Grundstück kein Pflichtteilsanspruch, wenn das Recht des Lageortes keine Pflichtteilsberechtigung kennt. Ein Pflichtteilsrecht für Abkömmlinge besteht insbesondere in den Staaten nicht, die dem common law folgen, also z.B. nicht in Australien, Kanada, Großbritannien, Südafrika und den US-Staaten, diese Staaten sehen generell kein Pflichtteilsrecht vor.[2]

 

Rz. 4

Will der (deutsche) Erblasser dem nach deutschem Recht pflichtteilsberechtigten Abkömmling den Pflichtteil entziehen, konnte dies bislang in der Weise geschehen, dass er sein Vermögen in ausländischen Immobilien anlegte. Er musste nur darauf achten, dass das Recht des Staates, in dem sich die Immobilien befinden, zweierlei Voraussetzungen erfüllt:

1. Das IPR dieses Staates muss die Rechtsnachfolge in Immobilien besonders regeln (also abweichend von der – eigenen – allgemeinen Anknüpfungsregel in diesem Staat, das trifft für alle im Beispiel genannten Rechtsordnungen zu).
2. Das Sachrecht dieses Staates darf keinen Pflichtteilsanspruch vorsehen (das ist z.B. nach französischem Recht nicht gegeben; dort ist sogar ein Noterbrecht – mit dinglicher Beteiligung – vorgesehen).
 

Rz. 5

Ein Pflichtteilsrecht des enterbten Pflichtteilsberechtigten bestand unter den obigen beiden Voraussetzungen dann zwar nach deutschem Recht (§ 2303 BGB), aber nur, so weit deutsches Recht anwendbar war, also nur hinsichtlich des Nachlasses, der deutschem Recht unterworfen war, nicht dagegen im Hinblick auf die ausländische Immobilie. Machte der Pflichtteilsberechtigte nun (in Deutschland) seinen Anspruch aus § 2303 BGB geltend, wurde der Wert der ausländischen Immobilie dem Nachlass entzogen; der Berechnung des – deutschen – Pflichtteilsanspruchs wurde gem. § 2311 BGB nur der Wert des Nachlasses abzüglich des Wertes der ausländischen Immobilie zugrunde gelegt. Wegen der Nachlassspaltung wurde bei der Berechnung des deutschen Pflichtteils nur das dem deutschen Recht unterliegende Aktivvermögen berücksichtigt.[3]

 

Rz. 6

Auch der BGH[4] vertrat diese Rechtsauffassung (in der Entscheidung ging es um den – vom BGH versagten – Pflichtteilsanspruch im Hinblick auf ein Grundstück in Florida, USA).

 

Beispiel:

Hat im obigen Ausgangsfall das Vermögen, welches deutschem Recht unterliegt, ­einen Wert von 100.000 EUR und das Grundstück im Ausland einen Wert von 500.000 EUR, so hatte der enterbte Sohn nur einen Anspruch in Höhe von 25.000 EUR: Die Pflichtteilsquote richtete sich gem. § 2303 BGB nach der gesetzlichen Erbquote...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge