Rz. 8

Teilhabe heißt im Strafprozess gleichsam zu überprüfen, ob die aufgeführten Beweismittel in dieser Form überhaupt verwertet werden dürfen. Insofern ist festzustellen, dass in der Praxis das Informationserhebungsrecht als Ausfluss des fair-trial-Prinzips gegen eine de-facto-Beibringungslast steht. So führt Cierniak[9] aus:

Zitat

"Besonderheiten, die im Einzelfall Zweifel an der Korrektheit der Messung aufkommen lassen, können und müssen vom Betroffenen bzw. seinem Verteidiger vorgebracht werden, wenn das Gericht sie nicht von sich aus aufgreift; man kann hier ruhig von einer gewissen "Beibringungslast" des Betroffenen sprechen."

 

Rz. 9

Allerdings kann eine umfassende Teilhabe am Strafprozess ohne weitere Informationen schlechterdings nicht als fair bezeichnet werden und der Zugang zu bestimmten Informationen ist unerlässlich. So bejaht Cierniak jedenfalls in folgenden Konstellationen ein Recht auf Akteneinsicht:

Messung entgegen den Richtlinien für die Verkehrsüberwachung in zu geringem Abstand zum Beginn oder Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung;
Eingriffe in Messgerät, Zubehör oder Videofahrzeug nach der letzten Eichung;
Ablauf der Gültigkeitsdauer der Eichung;
Ausstellung des Eichscheins vor Bauartzulassung durch die PTB;
Eichung unter Zugrundelegung einer zum Messzeitpunkt überholten Bedienungsanleitung;
Eichung materiell fehlerhaft wegen nicht vorhandener Bauartzulassung in Bezug auf einen zwischengeschalteten sog. CAN-Bus;
fehlende Zulassung einer verwendeten Kamera durch die PTB;
Messung in einem nicht zugelassenen Entfernungsbereich zwischen Fahrzeug und Messgerät;
Messwinkelabweichungen bei Radarmessgeräten;
keine Übertragung der Fahrbahnneigung auf Lichtempfänger bzw. Sensorkopf bei Lichtschranken und Einseitensensoren;
Durchführung der Funktionstests unter Abweichung von der Bedienungsanleitung (Visiertest, Null-Messung usw.);
konkrete Messung durch ein nicht ausreichend geschultes Mitglied des Messtrupps;
ungewöhnlich hohe Annulationsrate;
Reflexionen durch andere Objekte wie großflächige Betonwände oder Gebäudemauern beim Einsatz von Radargeräten;
Schräglage des nachfahrenden ProViDa-Motorrads;
Veränderung der Position des Messgeräts infolge zu weicher Fahrbahnbankette;
hohe Verkehrsdichte und schlechte Sichtverhältnisse bei Lasermessgeräten ohne fotografische Dokumentation;
Auslösung der Messung durch einen Schatten oder einen sonstigen Kontrast;
konkrete Störung des Messvorgangs durch Fremdfahrzeuge;
Fehldokumentation unter Verwechslung von Foto- und Messlinie bei ES 3.0;
Fehlen einer korrekt gekennzeichneten und dokumentierten Fotolinie;
Fotolinie ist nicht über die volle Breite im Messfoto abgebildet;
unplausible Positionierung des Fahrzeugs des Betroffenen in Bezug auf die Fotolinie;
auf dem gesamten Messfilm stark abweichende Positionen einiger der aufgenommenen weiteren Fahrzeuge zur Fotolinie;
im Messfeldrahmen von LEIVTEC XV2 und 3 ist ein weiteres ankommendes Fahrzeug auf allen Bildern bzw. dem Start- und Endbild größer als 1/3 des Rahmens abgebildet;
gemessenes Fahrzeug hat nach erfolgter Geschwindigkeitsmesswertbildung mit PoliScan speed gebremst, beschleunigt oder einen Fahrstreifenwechsel eingeleitet mit der Gefahr einer falschen Positionierung des Auswerterahmens;
der Auswerterahmen auf dem Messfoto erfasst das gerätenahe Kraftfahrzeug auf dem rechten Fahrstreifen, würde aber auch das schräg nach hinten versetzte Fahrzeug auf dem linken Streifen erfassen;
von PoliScan speed selbst nicht erkannter Kamerafunktionsdefekt mit der Folge verzögerter Fotoauslösung und fraglicher Zuordnung des Geschwindigkeitsverstoßes;
PoliScan speed-Messung auf dritter Fahrspur, in Kurvenbereichen, bei niedriger Geschwindigkeit oder Identifizierung von Pkw als Lkw oder umgekehrt;
verdachtsunabhängige Messung.
 

Rz. 10

In diesen Zusammenhang ist auch die leidige Frage zu stellen, wann der Verteidiger Akteneinsicht in seinen Kanzleiräumen erhalten muss. Das BVerfG vom 14.9.2011 – 2 BvR 449/11 hält eine Versagung für willkürlich (im konkreten Fall), weil anderen diese gewährt wurde und eine Differenzierung hierbei nicht sachgerecht war. Auch enthält die Entscheidung nochmals die Klarstellung, dass zur Akteneinsicht bereits die Anzeige des Verteidigers als Vertreter genüge und lediglich bei Zweifeln an der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung die Abfrage einer Vollmacht angezeigt sei.

 

Rz. 11

Will der Verteidiger mangels umfassender Akteneinsicht nun "Honig aus der Beschränkung der Verteidigung saugen", muss er folgendermaßen prozessual handeln.

 
Unvollständige Akteneinsicht
 
In der Hauptverhandlung Nur so erhält er sich die Verfahrensrüge nach §338 Nr. 8 StPO  
 
Unterbrechung oder Aussetzung
nebst Akteneinsicht beantragen,
(vorsorglich) gegen die Ablehnung durch den Vorsitzenden Gerichtsbeschluss nach §238 Abs. 2 StPO einholen
alles protokolliert?
   
Unzulässige ­Beschränkung der Verteidigung!
 
 

Rz. 12

Allerdings hat das OLG Braunschweig...

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