Rz. 6

Trotz der primärrechtlichen Gewährleistung der grenzüberschreitenden Umwandlungen stand den Gesellschaften zunächst kein anerkanntes, praktikables Verfahren für die Ausübung ihrer Rechte aus Art. 49 und 54 AEUV zur Verfügung. Dieses Hemmnis für die Mobilität mitgliedstaatlicher Gesellschaften wurde durch die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten[31] (im Folgenden "Verschmelzungsrichtlinie" oder kurz "VerschmelzungsRL") und deren Umsetzung in den nationalen Rechtsordnungen behoben. Hierdurch wurde für Kapitalgesellschaften ein europaweit weitgehend harmonisiertes Verfahren für grenzüberschreitende Herein- und Herausverschmelzungen geschaffen und damit ermöglicht, von den grundfreiheitlichen Gewährleistungen jedenfalls für die Umwandlungsart der Verschmelzung Gebrauch zu machen. Eine Richtlinie zur Regelung des Verfahrens grenzüberschreitender Verschmelzungen war auf europäischer Ebene bereits seit den 80er Jahren in der Diskussion, wobei jedoch eine politische Einigung insbesondere an der Frage der Arbeitnehmermitbestimmung zunächst gescheitert war.[32] Der Anwendungsbereich der VerschmelzungsRL beschränkte sich auf Verschmelzungen zwischen Kapitalgesellschaften (Art. 1 VerschmelzungsRL). Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Personenhandelsgesellschaften sowie die verbleibenden Umwandlungsvarianten (Formwechsel, Spaltung, Vermögensübertragung) wurden nicht geregelt und konnten daher nur auf die primärrechtliche Niederlassungsfreiheit gestützt werden, ohne dass hierfür ein handhabbares Verfahren gewährleistet war (siehe näher Rdn 130).[33] In der Praxis spielen die letztgenannten Umwandlungsvarianten aus diesem Grund bislang eine untergeordnete Rolle. Trotz des Fehlens sekundärrechtlicher Vorgaben hat sich jedenfalls für grenzüberschreitende Formwechsel – wenn auch durch "Versuch und Irrtum" – in vielen Länderkonstellationen (zumindest an einigen Registergerichten) ein praktikables Verfahren etabliert.

 

Rz. 7

Mittlerweile ist die Verschmelzungsrichtlinie in Art. 118 ff. Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts vom 14.6.2017[34] (im Folgenden kurz "GesRL") aufgegangen. Die nationalen Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Umwandlung müssen jedoch bis Ende 2022 geändert werden. Denn der europäische Gesetzgeber wollte mit der Richtlinie (EU) 2019/2121 zur Änderung der GesRL in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen vom 27.11.2019[35] (im Folgenden "Mobilitätsrichtlinie" oder kurz "MobilRL"), die binnen 36 Monaten in nationales Recht umzusetzen ist, dem Umstand abhelfen, dass grenzüberschreitende Umwandlungen zwar nach Primärrecht zulässig sind (vgl. Rdn 2 ff.), bislang allerdings nur für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften aufgrund der Umsetzung der VerschmelzungsRL bzw. der GesRL einfachgesetzliche nationale Regelungen verpflichtend sind. Damit fehlt derzeit für zahlreiche im Grundsatz zulässige Umwandlungsarten ein praktikables, rechtssicheres Verfahren. Die MobilRL sieht erstmals sekundärrechtliche Vorgaben für den grenzüberschreitenden Formwechsel (Art. 86a ff. GesRL) und die grenzüberschreitende Spaltung (Art. 160a ff. GesRL) vor. Darüber hinaus erfahren auch die Art. 118 ff. GesRL mitunter grundlegende Änderungen (u.a. Neufassung bzw. Neueinfügung der Art. 123, 124, 126a–126c, 127, 127a, 130, 133a GesRL), was zu erheblichem Anpassungsbedarf bei §§ 122a ff. UmwG führt. Eingeführt werden müssen etwa eine 4/5-Regelung zur Mitbestimmung (Art. 133 Abs. 2 GesRL), eine Missbrauchskontrolle (Art. 127 Abs. 8 GesRL)[36] sowie eine Flexibilisierung des Verschmelzungsberichts (fakultativ getrennte Berichte für Gesellschafter und Arbeitnehmer, Verzichtsmöglichkeit der Gesellschafter; Art. 124 GesRL).[37] Bislang liegt allerdings noch kein Entwurf für eine Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht vor. Nach wie vor ungeregelt sind grenzüberschreitende Umwandlungen von Personen(handels)gesellschaften sowie die grenzüberschreitende Spaltung zur Aufnahme.[38]

 

Rz. 8

Im Zuge des Brexit hat der deutsche Gesetzgeber – über die sekundärrechtlichen Vorgaben der VerschmelzungsRL bzw. der Art. 118 ff. GesRL hinaus – mit Wirkung zum 1.1.2019 die grenzüberschreitende Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft aus dem EU-Ausland[39] auf eine deutsche Personenhandelsgesellschaft[40] als übernehmende oder neue Gesellschaft ermöglicht (vgl. § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG).[41] Mangels sekundärrechtlicher Vorgaben konnte insoweit der Verzicht auf den Verschmelzungsbericht ermöglicht werden (§ 122e Satz 3 Hs. 2 UmwG). Ungeachtet des Anlasses für diese Änderung hat diese zusätzliche Handlungsoption in der Praxis – soweit ersichtlich – bislang keine größere Bedeutung erlangt. Nationale Regelungen für die grenzüberschreitende Verschmelzung einer deutschen oHG bzw. KG als übertragender Rechtsträger existieren jedoch nach wie vor nicht.

[31] Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parl...

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