Rz. 288

Wichtig ist zunächst, dass eine Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer Obliegenheitsverletzung nur dann in Betracht kommt, wenn sich der Versicherer hierauf auch ausdrücklich beruft.[319] So scheidet beispielsweise eine Leistungsfreiheit des Versicherers aus, wenn der Versicherungsnehmer zwar die Schadenstelle pflichtwidrig verändert, sich der Versicherer jedoch in Kenntnis dieser Obliegenheitsverletzung auf die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens einlässt.[320]

 

Rz. 289

Grundsätzlich setzen Leistungsfreiheit und Leistungskürzung bei Obliegenheitsverletzungen vor dem Versicherungsfall schuldhaftes Fehlverhalten des Versicherungsnehmers voraus. § 28 Abs. 2 VVG fordert mindestens grobe Fahrlässigkeit, wie bereits § 7 Nr. 1 AFB 87. Vorsatz muss der Versicherer beweisen. Der Versicherungsnehmer muss sich von grober Fahrlässigkeit entlasten (§ 28 Abs. 2 S. 2 VVG).

 

Rz. 290

Die Obliegenheitsverletzung darf nicht folgenlos geblieben sein. Erforderlich ist eine konkrete Kausalität zwischen Obliegenheitsverletzung und dem durch die Obliegenheit geschützten Interesse des Versicherers. Nur bei Arglist ist dies nicht der Fall (§ 28 Abs. 3 S. 2 VVG).

 

Rz. 291

Weichen die Regelungen in den AVB vom Regelungsinhalt des § 28 Abs. 2 VVG ab (z.B. Leistungsfreiheit bei grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlicher folgenloser Obliegenheitsverletzung), ist die Klausel der AVB unwirksam.[321] Das Berufen auf Leistungsfreiheit setzt zweierlei voraus: eine Obliegenheit und für den Fall der Zuwiderhandlung eine Rechtsfolge. Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Verstößt die vertraglich vereinbarte Rechtsfolge gegen geltendes Recht, ist die Klausel deswegen insgesamt unwirksam. Die dadurch entstehende Lücke kann nicht nach § 306 Abs. 2 BGB geschlossen werden, weil Art. 1 Abs. 3 EGVVG als lex specialis die allgemeine Regel des § 306 BGB verdrängt. Die Lücke hätte also nur durch die vom Gesetzgeber vorgesehene Umstellung, die bis zum 30.11.2008 hätte erfolgen müssen, geschlossen werden können. Der Versicherer kann sich also auf Leistungsfreiheit wegen einer in § 13 AFB 87 bestimmten Obliegenheit nicht mehr berufen.

[319] BGH VersR 2005, 493.
[321] BGH v. 2.4.2014 – IV ZR 58/13, r+s 2015, 347 ff.; BGH v. 12.10.2011 – IV ZR 199/10, NJW 2012, 217 ff.

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