Rz. 2

Für jeden Prozess sind Fristen prägend. Gesetzlich vorgegebene materiell-rechtliche Fristen, vor allem Verjährungsfristen, sollen durch die zeitige Prozessführung gewahrt werden. Verfahrensrechtliche Fristen sind Klagefristen und betreffen daneben auch die vom Gericht gesetzten Fristen, z.B. zur Erwiderung auf die Klage sowie Rechtsmitteleinlegungs- und Begründungsfristen. Eine Nichtbeachtung jeglicher Fristen kann unmittelbar zum anwaltlichen Regress führen. Das gilt sowohl für den Gläubiger-/Klägervertreter als auch für den Rechtsanwalt des Schuldners/Beklagten.

Allgemeine Regelungen der Fristen befinden sich in §§ 221 ff. ZPO zum Beginn, zur Berechnung mit einem Verweis auf die Regelungen im BGB, zur Veränderung und in §§ 230 ff. ZPO zu den Folgen der Fristversäumung. §§ 186 ff. BGB normieren die allgemeinen Vorschriften über die Fristberechnung.

I. Überprüfung der materiell-rechtlichen Fristen

 

Rz. 3

Ist Verjährung eingetreten, bestehen keine realistischen Erfolgsaussichten mehr, eine Forderung weiterzuverfolgen. Dem Schuldner steht ein Leistungsverweigerungsrecht zu.[1] Er braucht sich nur noch auf die Einrede der Verjährung zu berufen, § 214 Abs. 1 BGB. Der Mandant, der beabsichtigt, seine Forderung gerichtlich durchzusetzen, ist hierüber zu belehren. Von einer Klage ist abzuraten, zumal regelmäßig nicht davon auszugehen sein dürfte, dass der Anspruchsgegner sich nicht verteidigt und die Einrede nicht erhebt.

 

Rz. 4

Bei einem entsprechenden Zeitablauf ist deshalb vor einer avisierten Prozessführung noch einmal zu prüfen, ob materiell-rechtliche Fristen wie Verjährungsfristen, Ausschlussfristen, Anfechtungsfristen und Kündigungsfristen (maßgebend vor allem bei Dienst- und Arbeitsverträgen, bei Miete und Pacht sowie bei Rentenschulden, Versicherungsverträgen und Darlehen)[2] gewahrt worden sind. Jedoch darf aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Fristenregelungen nicht vorschnell der Schluss gezogen werden, dass eine Verjährung tatsächlich eingetreten ist, denn zu berücksichtigen ist, dass der Mandant möglicherweise gemäß § 199 Abs. 1 BGB erst verzögert von seinem Anspruch erfahren hat. Außerdem könnten Hemmungstatbestände und ein möglicher Neubeginn der Verjährung nach § 212 BGB vorliegen.

[1] Allerdings kann das zur Befriedigung eines verjährten Anspruchs Geleistete nicht zurückgefordert werden, auch wenn in Unkenntnis der Verjährung geleistet worden ist. Das Gleiche gilt von einem vertragsmäßigen Anerkenntnis sowie einer Sicherheitsleistung des Schuldners, § 214 Abs. 2 BGB.
[2] Zu den einzelnen materiell-rechtlichen Fristen s.o. unter § 3 Rdn 24.

1. Beginn der Verjährungsfrist

 

Rz. 5

Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt – soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist – mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199 Abs. 1 BGB.

 

Rz. 6

Bisweilen kann zweifelhaft sein, wann der Gläubiger von den maßgebenden Umständen, welche den Anspruch begründen, Kenntnis erlangt hat. Der den Gläubiger vertretende Rechtsanwalt muss diese Frage ebenso prüfen, wie der Anwalt, der den Schuldner vertritt. Die entscheidende Kenntnis des Gläubigers nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bezieht sich nicht auf das Vorhandensein des Anspruchs selbst, sondern auf diejenigen Tatsachen, aus denen ein Anspruch subsumiert werden kann. Geht es z.B. um einen Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Pflichtverletzung, reicht es aus, wenn der Verletzte die Grundzüge des Hergangs der Schädigung kennt und weiß, dass sich aus dem Sachverhalt gewichtige Anhaltspunkte für eine Ersatzpflicht des Verantwortlichen ergeben. Eine Kenntnis der Einzelheiten ist nicht erforderlich. Relevant ist vielmehr, ob die Umstände eine Haftungsklage aussichtsreich erscheinen lassen und eine Erhebung der Klage zugemutet werden kann.[3] Ein Rechtsirrtum oder die falsche Gesetzesanwendung sind für die Verjährung hingegen unbedeutend. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise dann gelten, wenn die Rechtslage so unübersichtlich oder zweifelhaft war, dass selbst ein rechtskundiger Dritter diese nicht zuverlässig einschätzen könnte.[4] Unzureichend hierfür ist aber, dass die Rechtslage noch nicht höchstrichterlich geklärt wurde oder abweichende oberlandesgerichtliche Entscheidungen vorhanden sind.[5]

 

Rz. 7

Ausnahmen von der Regelung des § 199 BGB bestehen nach § 200 BGB (Beginn anderer Verjährungsfristen), § 201 BGB (Beginn der Verjährungsfrist von festgestellten Ansprüchen), § 438 Abs. 2 BGB (Verjährung der Mängelansprüche im Kaufrecht) und § 634a Abs. 2 BGB (Verjährung der Mängelansprüche im Werkvertragsrecht).

[3] Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Lakkis, jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 199 BGB Rn 53.
[4] BGH, Urt. v. 19.3.2008 – III ZR 220/07, juris Rn 7 = WM 2008, 1077 f.
[5] Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Lakkis, jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 199 BGB Rn 54.

2. Hemmung

 

Rz. 8

Bei der Fristenberechnung ist ferner von Bedeutung, ob die Verjährungsfrist ausnahmsweise gehemmt worden ist, §...

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