Rz. 442

Gesetzliche Regelungen erreichen aufgrund ihrer Abstraktheit nicht in jeder Konstellation den idealen Ausgleich der betroffenen Interessen der beteiligten Vertragsparteien. Deshalb gestattet der Gesetzgeber bei einer Vielzahl der gesetzlichen Regelungen die Anpassung des Vertragsverhältnisses an die Bedürfnisse der Vertragsparteien (dispositive Vorschriften), um einen gerechten Interessenausgleich herzustellen.[1000] Deshalb ist es dem Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen auch nicht von vornherein verwehrt, diese dispositiven Vorschriften an seine Interessen und die Bedürfnisse seines Geschäftsbetriebs anzupassen.[1001] Dieser Gestaltungsspielraum des Verwenders findet nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB aber dort seine Grenze, wo die Abweichung von der gesetzlichen Regelung so erheblich wird, dass sie zu einer ungerechten Behandlung des Vertragspartners führt.[1002] Dementsprechend liegt nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine unangemessene Benachteiligung vor, wenn der Verwender von den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht.

 

Rz. 443

"Gesetzliche Regelungen" i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB sind alle Gesetze im formellen und materiellen Sinne.[1003] Darüber hinaus erfasst die Vorschrift auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die sich aus dem Gewohnheitsrecht, den Regeln des Richterrechts, der ergänzenden Auslegung oder der Natur der Sache ergeben können.[1004]

 

Rz. 444

Eine Unvereinbarkeit mit der gesetzlichen Regelung kommt zunächst dann in Betracht, wenn durch den Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen das Leitbild abgeändert wird, das für den gewählten Vertragstyp in den dispositiven Vorschriften niedergelegt ist.[1005] Dabei versteht man unter dem Leitbild eines Vertragstyps dessen tragende und das Wesen des Vertrags prägende Gedanken. So hat die Rechtsprechung etwa entschieden, dass das gesetzliche Leitbild des Maklervertrags in der Regelung des § 652 BGB enthalten ist und deshalb Vertragsbedingungen, die wesentlich von diesem Leitbild abweichen, eine unangemessene Benachteiligung für den Vertragspartner i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zur Folge haben.[1006]

 

Rz. 445

Eine Unvereinbarkeit mit der gesetzlichen Regelung liegt nach der Rechtsprechung auch dann vor, wenn eine Vorschrift des dispositiven Rechts nicht nur reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte verfolgt, sondern auch ein Gebot der Gerechtigkeit verwirklicht und keine besonderen Gründe vorliegen, die eine Abweichung von dieser Vorschrift gebieten.[1007] Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es bei der Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht nur darauf ankommen kann, ob von den wesentlichen gesetzlichen Leitbildern abgewichen wird, sondern auch, ob der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung als Ausformung des Gerechtigkeitsprinzips nach der Veränderung durch den Verwender noch erhalten bleibt.[1008] Dies kommt auch im Wortlaut des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zum Ausdruck, der auf die wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abstellt und damit die Bedeutung des Gerechtigkeitsgehalts impliziert.

 

Rz. 446

Eine Abweichung von wesentlichen Grundgedanken kann sich schließlich auch daraus ergeben, dass sie mit dem Leitbild einer anderen gesetzlichen Regelung nicht vereinbar ist.[1009] So hat die Rechtsprechung entschieden, dass der Grundsatz des Schutzes personenbezogener Daten nach dem Bundesdatenschutzgesetz zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners beim Schluss von Partnerschaftsvermittlungsverträgen oder Telekommunikationsverträgen führen kann, wenn in den Vertragsbedingungen die Weitergabe von personenbezogenen Daten vorgesehen ist.[1010]

 

Rz. 447

Der gesetzlichen Regelung widerspricht eine Vertragsbedingung, die die Herausgabe von Wertpapieren aus einem Depot im Fall der Vertragsauflösung von der Zahlung eines Entgelts abhängig macht. Denn die Herausgabepflicht des Verwahrers ist keine ausschließliche Folge der vertraglichen Beziehungen, sondern beruht auf dessen gesetzlicher Verpflichtung zur Herausgabe der Wertpapiere. Da das DepotG für den Fall der Auflösung des Wertpapiers keinen Gebührentatbestand kennt, widerspricht eine entsprechende Geschäftsbedingung dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und ist damit unwirksam.[1011]

 

Rz. 448

Eine Unvereinbarkeit mit der gesetzlichen Regelung wird auch für die Verwendung starrer Fristenpläne bei der Ausführung von Schönheitsreparaturen durch den Mieter angenommen.[1012] Denn es widerspricht den mietvertraglichen Regelungen, dem Mieter die Durchführung von Renovierungsarbeiten unabhängig vom Grad der Abnutzung der Räumlichkeiten aufzubürden, da der Mieter dadurch zu einer weitreichenderen Instandhaltung verpflichtet würde, als der Vermieter, dem diese Art der Arbeiten nach der gesetzlichen Regelung ursprünglich zugewiesen ist.[1013] Zudem ist ein Interesse des Vermieters an der Renovierung nicht renovierungsbedürftiger Räume nicht anzuerkennen.

 

Rz. 449

Kein Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt dagegen vor, wenn di...

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