Rz. 113

Eine Abweichung von der Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag setzt lediglich die Tarifbindung des Entleihers voraus.[269] Bei einer Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer handelt es sich um eine Betriebsnorm im Sinne des §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 TVG, sodass es auf die Tarifbindung des Leiharbeitnehmers nicht ankommt.[270] Die Abweichung von der Überlassungshöchstdauer wird für alle in dem jeweiligen Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer -unabhängig von der Tarifbindung und der Person der Leiharbeitnehmer einheitlich geregelt. Damit ist – wie dies für Betriebsnormen Voraussetzung ist[271] – unmittelbar die Organisation und Gestaltung des Betriebs betroffen. Ist der Entleiher an verschiedene Tarifverträge gebunden, die unterschiedliche Regelung zur Abweichung von der Überlassungshöchstdauer enthalten, ermittelt sich der anzuwendende Tarifvertrag nach dem Grundsatz der Repräsentativität (§ 4 Abs. 2 S. 2 TVG).[272] Eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher kann die Tarifbindung des Entleihers nicht ersetzen.[273] Ebenso ist es nicht ausreichend, dass in einem Tarifvertrag, an den der Verleiher gebunden ist, eine von der Überlassungshöchstdauer abweichende Regelung getroffen worden ist.

 

Rz. 114

Soweit § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG auf einen "Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche" abstellt, könnte dies dahingehend verstanden werden, dass nur durch einen Verbands- bzw. Branchentarifvertrag von der Überlassungshöchstdauer abgewichen werden kann. Ein derartiges Verständnis würde jedoch den Gesetzeswortlaut überstrapazieren und wäre auch unter dem Gesichtspunkt der individuellen Koalitionsfreiheit des Entleihers problematisch.[274] Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht auch durch einen Firmentarifvertrag von der Überlassungshöchstdauer abgewichen werden darf.[275] Durch die Tariföffnungsklausel soll gerade den betrieblichen Besonderheiten Rechnung getragen werden.[276] Darüber hinaus genießt ein Firmentarifvertrag dieselbe Richtigkeitsgewähr wie ein Verbandstarifvertrag.[277]

[269] Eine OT-Mitgliedschaft genügt mangels Tarifbindung nicht; vgl. auch Schüren/Hamann/Hamann, § 1 Rn 354.
[270] So auch LAG Baden-Württemberg v. 18.11.2020 – 21 Sa 12/20, NZA-RR 2021, 176; BeckOK/Kock, § 1 AÜG Rn 118; ErfK/Wank/Roloff, § 1 AÜG Rn 55; Schüren/Hamann/Hamann, § 1 Rn 356; Deinert, RdA 2017, 65, 76; Hamann, ArbuR 2016, 136, 138; Löwisch, DB 2017, 1449, 1450; a.A. LAG Baden-Württemberg v. 2.12.2020 – 4 Sa 16/20, NZA-RR 2021, 188; HWK/Höpfner, § 1 AÜG Rn 64; Franzen, ZfA 2016, 25; Henssler, RdA 2017, 83, 97.
[271] Vgl. BAG v. 12.7.2016 – 9 AZR 359/15, BeckRS 2016, 74834 zu Prüf- und Angebotspflichten zur Übernahme in die Stammbelegschaft, die keine Betriebsnormen darstellen.
[272] Schüren/Hamann/Hamann, § 1 Rn 358.
[273] Vgl. auch ErfK/Wank/Roloff, § 1 AÜG Rn 55; Schüren/Hamann/Hamann, § 1 Rn 356.
[274] Vgl. zur individuellen Koalitionsfreiheit auch BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734.
[275] So auch FW BA Nr. 1.2.2 (1); BeckOK/Kock, § 1 AÜG Rn 111; Schüren/Hamann/Hamann, § 1 Rn 349; Thüsing/Waas, § 1 Rn 162; Löwisch, DB 2017, 1449, 1450.
[276] BT-Drucks 18/9232, 20.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge