Rz. 23

Ziel des neuen Modells von Schah Sedi/Schah Sedi und Schwintowski war es, eine Berechnungsmethode zu schaffen, die jeder einzelne errechnen kann, ohne dass er irgendwelche juristischen Vorkenntnisse hat, einfach durch die Anwendung eines Taschenrechners. Von den jeweiligen Behandlungsstufen ausgehend kann dann eine Objektivierung des Schmerzensgeldes erreicht werden. Das Prinzip ist extrem einfach, weil jeder Betroffene weiß, wie viel Zeit er auf der Intensivstation, auf der Normalstation oder in ambulant häuslicher Behandlung verbracht hat. Ebenso lässt sich der Grad des Dauerschadens bestimmen. Anschließend muss nur der Tagessatz bestimmt werden. Durch diese taggenaue Bemessung entsteht eine extrem hohe Vergleichbarkeit und eine gerechte Behandlung der Schmerzensgeldfälle.

 

Rz. 24

Ein Kritikpunkt an dem alten System ist, dass die Gerichte trotz vergleichbarer Verletzungsfolgen völlig unterschiedliche Schmerzensgeldzahlungen ausurteilen. Nach § 32 ZPO ist das örtliche Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Unfall ereignet hat. Der Geschädigte kann also nicht entscheiden, z.B. ein Gericht in München, Dresden oder Frankfurt aufzusuchen, weil dort günstige Schmerzensgeldzahlungen für ihn ausgeurteilt werden. Es ist hingegen von dem Zufall abhängig, an welchem Ort der Unfall stattfindet, denn danach bemisst sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, das über seinen Fall zu entscheiden hat. So lange die Gerichte nach wie vor bei gleichen Verletzungen völlig unterschiedliche Urteile fällen – mit bis zu 100 % und 200 % Abweichung in der Schmerzensgeldhöhe – bleibt die bisherige ungerechte Schmerzensgeldrechtsprechung bestehen. Genau aus diesem Grund wurde die taggenaue Bemessung des Schmerzensgeldes entwickelt, weil es dann völlig egal ist, wo der Unfall geschehen ist, weil das Ergebnis in allen Fällen dasselbe ist. Gerechter kann es nicht zugehen.

 

Rz. 25

Das System der taggenauen Bemessung des Schmerzensgeldes verwirklicht zudem den Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes (BGH v. 14.2.2006 – VI ZR 322/04, VersR 2006, 1090). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes verlangt, dass jeder Tag, der Schmerzen bereitet, in die Kompensation miteinzubeziehen ist. Genau dies berücksichtigt das Modell der taggenauen Bemessung des Schmerzensgeldes, denn es spielt keine Rolle, ob der Betroffene am 15.3., am 16.3. oder am 30.3. täglich Schmerzen hat. Entscheidend ist, dass er täglich Schmerzen hat und jeder Tag durch eine Geldzahlung kompensiert wird. Die jetzige Praxis der Schmerzensgeldbemessung, bei der niemand konkrete Berechnungen benennen kann, ist höchst ungerecht. Diese völlige Unkalkulierbarkeit, weil es eben vom Zufall abhängt, bei welchem Gericht ich mit meinem Fall lande und mit welchem Ergebnis ich nach Hause gehe. Diese völlige Unkalkulierbarkeit ist eine "Blackbox", welche mit dem Grundgesetz der Art. 1, 2, 3, 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich nicht zu vereinbaren ist. Das Grundgesetz verlangt, dass der einzelne Bürger genau weiß, welches Schmerzensgeld er bei welcher Verletzung erlangt. Es besteht eine Pflicht, dass die Berechnungs- und Bemessungsmaßstäbe eines Schmerzensgeldes bestimmt, klar und damit vorhersehbar zu konkretisieren sind. Genau dies ist bei der geltenden Rechtsprechung nicht der Fall. Es darf nicht sein, dass bei vergleichbaren Verletzungen Abweichungen von mehr als 100 % als völlig normal hingenommen werden. Für den Geschädigten kommt dies einem Roulette-Spiel mit seiner Gesundheit gleich: Er setzt auf Schwarz und es kommt Rot – und das bei Menschen, die unverschuldet in einen Unfall geraten sind und dem Rechtsempfinden nach schutzbedürftig sein sollten. Wollen wir wirklich solche Menschen schutzlos lassen? Oder ist es vielmehr unsere Pflicht, diesen Menschen wieder das Vertrauen in das Rechtssystem zurückzugeben und ihnen verlässliche Quellen zu liefern, damit sie ihren Schicksalsschlag und ihre täglichen Schmerzen besser verarbeiten können, indem ihnen ein faires, gerechtes und nachvollziehbares System für die Schmerzensgeldbemessung an die Hand gegeben wird? Genau aus diesen Gründen ist jene Transparenz und Vergleichbarkeit, welche die taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes liefert, so wichtig.

 

Rz. 26

Jeder, der in der Praxis mit Schmerzensgeldurteilen zu tun hat, kennt die Ungerechtigkeit der Gerichte. Exemplarisch wird auf die Entscheidung des OLG Frankfurt (8 O 108/05) verwiesen. Am 7.8.2007 korrigierte das OLG Frankfurt das Urteil des LG Frankfurt, welches am 9.3.2005 ergangen war (2–01 O 35/03): Das LG hatte bei einer bestimmten Verletzung und Verletzungsfolge 20.000 EUR Schmerzensgeld für angemessen und billig gehalten. Das OLG hingegen kürzte das erstinstanzliche Urteil bei der gleichen Verletzung auf 5.000 EUR. Jetzt versetzen Sie sich einmal in die Lage des Betroffenen, der bei demselben Sachverhalt, bei denselben Verletzungen, denselben Schmerzen und demselben Dauerschaden einmal 20.000 EUR und einmal 5.000 EUR von dem gleiche...

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