Rz. 4

Die Möglichkeiten, eine Verfassungsbeschwerde nach Bundesrecht und ggf. eine Verfassungsbeschwerde nach Landesverfassungsrecht an ein Landesverfassungsgericht[11] zu erheben, bestehen erstens unabhängig voneinander und zweitens nebeneinander (sofern das Landesverfassungsrecht dies nicht ausdrücklich ausschließt), und zwar auch, soweit die jeweils einschlägigen Grundrechte nach der Landesverfassung und dem Grundgesetz identisch sind, § 90 Abs. 3 BVerfGG.[12] Landesverfassungsbeschwerden gibt es inzwischen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen.[13]

Für Gemeinden gilt dies nicht, soweit sie eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie geltend machen: Eine sog. Kommunalverfassungsbeschwerde zu dem Bundesverfassungsgericht,[14] die jedoch nur gegen ein Bundes- oder Landesgesetz und nicht gegen gerichtliche Entscheidungen möglich ist, ist ausgeschlossen, sofern eine Beschwerde zu einem Landesverfassungsgericht möglich ist, § 91 BVerfGG.[15]

Die Zulässigkeit der jeweiligen Verfassungsbeschwerde richtet sich nach den jeweils einschlägigen Bestimmungen des Landes- bzw. Bundesrechts (GG, BVerfGG).

Wird bei nebeneinander eingelegten Verfassungsbeschwerden einer Beschwerde stattgegeben, wird die andere mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, soweit es um dieselben materiellen Grundrechte geht. Die zweite Beschwerde sollte dann für erledigt erklärt oder zurückgenommen werden. Umgekehrt gilt dies nicht: Wird eine Beschwerde nicht angenommen bzw. abgewiesen, so kann die andere dennoch weiter verfolgt werden. Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte gehören nicht zum Rechtsweg und setzen daher die Frist gem. § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG nicht neu in Gang.[16]

 

Rz. 5

Maßgebend für die Entscheidung des Beschwerdeführers, welcher Weg sinnvoll ist, ist – neben dem Gesichtspunkt der Effektivität (mutmaßliche Verfahrensdauer) – in erster Linie die Frage, welches Verfassungsgericht im konkreten Fall die (weiterreichenden) Befugnisse hat, einen Verstoß gegen das Grundgesetz oder eine Landesverfassung festzustellen und demgemäß die angegriffene Entscheidung aufzuheben. Dies hängt sowohl von der Zuordnung der jeweils einschlägigen einfach-rechtlichen Regelungen zum Bundesrecht oder zum Landesrecht als auch von der Zugehörigkeit der relevanten verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Grundgesetz oder der jeweiligen Landesverfassung ab.

In Fällen sich überschneidender Regelungen heben die Landesverfassungsgerichte (Gerichts-)Entscheidungen nicht auf, sondern stellen nur einen Verstoß gegen die Landesverfassung fest, während das Bundesverfassungsgericht in einem solchen Fall i.d.R. die Entscheidung des Fachgerichts aufhebt. Zudem hält sich das Bundesverfassungsgericht zurück, soweit es um die Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Landesverfassung geht, während sich die Landesverfassungsgerichte wiederum regelmäßig zurückhalten, soweit es um die Anwendung bundesrechtlicher Maßstäbe geht.[17]

Im Übrigen sind auch Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte mit der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht angreifbare Akte der öffentlichen Gewalt.[18] Es gibt jedoch Grenzen der Zulässigkeit einer solchen Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, die sich gegen eine Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts richtet.[19]

[11] Zu den unterschiedlichen Landesregelungen z.B. Kleine-Cosack, § 11 II.2.; Zuck, Die Landesverfassungsbeschwerde in Baden-Württemberg, 2013.
[13] Die Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte bzw. Verfassungsgerichtshöfe sind über deren Internetseiten abrufbar.
[14] Zur Kommunalverfassungsbeschwerde BVerfGE 107, 1; BVerfGE 71, 25; Zuck, Verfassungsbeschwerde, Rn 119 ff.
[17] BVerfG NVwZ 1998, 387; BVerfGE 96, 345; BVerfG NVwZ 1994, 59; RhPfVerfGH NJW 2001, 2621; BerlVerfGH NJW 1999, 47; SächsVerfGH NJW 1999, 51; HessStGH NJW 1999, 49; BerlVerfGH LKV 1998, 19; VerfGH Saarl NVwZ 1983, 604; ferner z.B. Lemhöfer, NJW 1996, 1714 ff.; Rozek, AöR 119 (1994), 450 ff.; Zierlein, AöR 120 (1995), 205 – Zulässigkeitsfragen werden teilweise anders beurteilt als bei dem BVerfG, vgl. z.B. HessStGH NJW 2001, 746.

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