Rz. 28

Ein verbotswidrig geparktes Kfz darf nur abgeschleppt werden, wenn die Maßnahme zur Gefahrenbeseitigung geeignet und erforderlich ist, der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne entspricht sowie dem betroffenen Fahrzeugführer oder -halter zumutbar ist.[51] Insbesondere reicht die Vollziehbarkeit eines Halteverbots (z.B. Zeichen 283) alleine grundsätzlich nicht, um das Entfernen des Fahrzeugs stets verfügen zu können.[52] So rechtfertigt beispielsweise das VG Berlin[53] eine Umsetzung eines Kfz, das verkehrswidrig auf einer Sperrfläche parkt, nur, wenn darüber hinaus vom Fahrzeug eine unmittelbar zu beseitigende Verkehrsbehinderung ausgeht.

 

Rz. 29

Ist bei realistischer Betrachtung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls sicher, dass der Fahrer eines verkehrsordnungswidrig abgestellten Fahrzeugs in Kürze die Störung/Behinderung selbst beseitigen wird (im Fall: Parken auf Gehweg, um Kind in Kindergarten zu bringen), so ist eine Abschleppanordnung in der Regel nicht verhältnismäßig,[54] da durch das Abschleppen des Fahrzeugs die Störung/Behinderung erkennbar allenfalls um einige Minuten verkürzt werden könnte. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Störer vorsätzlich über eine ihm gegenüber mündlich ergangene Anordnung hinwegsetzt.[55] Eine Abschleppanordnung darf in einem solchen Fall nicht aus Gründen der General- oder Spezialprävention getroffen werden.[56] Andererseits kann eine starre Wartefrist nicht angenommen werden, da eine derartige schematische Vorgabe einer gebotenen Einzelfallbetrachtung widerspricht.[57]

 

Rz. 30

In die Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind neben dem Gewicht der Störung sowohl die für den Pflichtigen entstehenden Nachteile als auch die Beeinträchtigungen z.B. für Anwohner und andere Verkehrsteilnehmer durch den Abschleppvorgang einzustellen. Dies hat das HambOVG im Zusammenhang mit dem zusätzlichen Aufwand für die Polizei in den "Benachrichtigungsfällen" ausgesprochen:[58] "Dieser zusätzliche Aufwand wird – im Erfolgsfall – dadurch aufgewogen, dass die Belastung des Polizeipflichtigen mit den Kosten der unmittelbaren Ausführung sowie der damit verbundene Verwaltungsaufwand entfallen, und dass die Störung im Idealfall nicht nur schneller als im Wege der Ersatzvornahme (oder ggf. der unmittelbaren Ausführung) beseitigt wird, sondern auch mit deutlich geringeren Beeinträchtigungen für Anwohner und andere Verkehrsteilnehmer, wie sie mit einem Abschleppeinsatz häufig verbunden sind".[59]

 

Rz. 31

Aufgrund der Größe des Fahrzeugs entstehende hohe Abschleppkosten können im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielen. Bei Kenntnis der zuständigen Behörde von einem möglichen und erreichbaren Schlüsselinhaber des Fahrzeugs ist die Abschleppmaßnahme jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn es sich um eine sehr teure Abschleppmaßnahme handelt (im Fall: aufgrund der LKW-Größe teure und erst nach Wochen mögliche Abschleppmaßnahme), eine Behinderung und Gefährdung nicht vorliegt und wenn nicht einmal der Versuch unternommen wurde, den Schlüsselinhaber zu kontaktieren.[60]

 

Rz. 32

Auch bei der Art und Weise der Durchführung der Abschleppmaßnahme selbst ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Dies bedeutet, dass vor Verbringen des Fahrzeugs auf das Gelände des Abschleppunternehmers oder der Behörde zunächst eine Umsetzung (Versetzen) in Erwägung zu ziehen ist.[61] Die bei Ankunft des Fahrers bereits begonnene Abschleppmaßnahme ist abzubrechen.

 

Rz. 33

Wurde ein Fahrzeug unter Verstoß gegen ein Gebots- oder Verbots-Verkehrszeichen (z.B. Halt- und Parkverbote) abgestellt oder wurde es vor einer abgelaufenen oder nicht betätigten Parkuhr bzw. im Geltungsbereich eines Parkscheinautomaten geparkt, ohne einen Parkschein zu lösen, ist das Abschleppen verhältnismäßig, wenn das rechtswidrige Abstellen des Kfz mehrere Stunden andauert, wobei der Nachweis einer konkreten Behinderung nicht erforderlich ist.[62] Das Abschleppen eines Fahrzeugs, das mehrere Stunden verbotswidrig geparkt ist, ist aber nicht deshalb unverhältnismäßig, weil die Abschleppkosten ein Mehrfaches der Parkgebühr oder des Verwarnungsgeldes betragen.[63]

[51] BVerwG zfs 2003, 320.
[52] BVerwGE 90, 189, 193; BVerwG zfs 1992, 142; 1994, 189, 190.
[53] DAR 1999, 90.
[54] BVerwG, Urt. v. 9.4.2014 – 3 C 5.13 Rn 16, zfs 2014, 474 = NZV 2014, 589; das sichtbare Hinterlegen der Mobilfunknummer reicht alleine nicht aus, BVerwG a.a.O.
[55] HambOVG, Urt. v. 8.6.2011 – 5 Bf 124/08, zfs 2011, 652 f.
[56] Hier geht es nämlich um Gefahrenabwehr und nicht um Sanktion. HambOVG, Urt. v. 8.6.2011- 5 Bf 124/08, SVR 2012, 69 = zfs 2011, 652 = DAR 2012, 105.
[57] BVerwG, Urt. v. 9.4.2014 – 3 C 5.13 Rn 27, zfs 2014, 474 = NZV 2014, 589.
[58] Urt. v. 22.2.2005, NJW 2005, 2247, 2249.
[59] HambOVG, Urt. v. 8.6.2011 – 5 Bf 124/08, zfs 2011, 652 ff.
[60] VG Trier v. 16.4.2010 – 1 K 677/09, Ls. in DAR 2011, Heft 2, S. IV.
[61] BVerwG zfs 2003, 98.
[62] BayVGH NJW 1999, 1130 = DÖV 1999, 306, unter Hinweis auf BVerwG DVBl. 1983, 1066, 1067: "mehr als drei Stunden"; ...

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