Rz. 1448

Nach BAG (v. 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, juris) steht dem Betriebsrat außerhalb des § 23 Abs. 3 BetrVG kein allgemeiner Unterlassungsanspruch bei vom Betriebsrat angenommenem mitbestimmungswidrigem Verhalten des Arbeitgebers bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen, Eingruppierungen (§ 99 BetrVG) zu. Ein solcher Anspruch wäre hiernach mit den in §§ 100 und 101 BetrVG normierten Wertentscheidungen des Gesetzgebers nicht zu vereinbaren. § 100 Abs. 1 BetrVG gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, die personelle Maßnahme aus dringenden sachlichen Gründen vorläufig durchzuführen. Die Gesetzeslage verlangt hierzu nicht den objektiven Nachweis eines dringenden sachlichen Erfordernisses, sondern nur die Einhaltung des in § 100 Abs. 2 BetrVG vorgesehenen Verfahrens. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Folgen eines Verstoßes ausdrücklich in § 101 BetrVG geregelt, sieht selbst einen auf nachträgliche Beseitigung gerichteten Anspruch, vor, nicht aber einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch (so auch LAG Hessen v. 18.6.2020 – 5 TaBVGa 74/20, juris).

 

Rz. 1449

Führt der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme i.S.d. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG ohne Zustimmung des Betriebsrates durch, eröffnet § 101 BetrVG dem Betriebsrat die Möglichkeit, die Aufhebung mitbestimmungswidriger Personalmaßnahmen zu erzwingen. Es ist anerkannt, dass § 101 BetrVG den Anspruch des Betriebsrates auf künftige Beachtung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 23 Abs. 3 BetrVG nicht ausschließt (BAG v. 17.3.1987 – 1 ABR 65/85, juris). Dies erscheint als logisch, da sich § 101 BetrVG auf die Aufhebung einer konkreten zurzeit vom Arbeitgeber noch durchgeführten Maßnahme richtet, § 23 Abs. 3 BetrVG auf die Beachtung des Mitbestimmungsrechtes in künftigen Fällen.

 

Rz. 1450

Zumindest für die Aufhebung einer bereits durchgeführten Maßnahme stellt § 101 BetrVG eindeutig eine Sonderregelung dar, die den quasinegatorischen "allgemeinen" Beseitigungsanspruch ausschließt. In Betracht käme allenfalls ein Anspruch auf Unterlassung einer konkret bevorstehenden Einstellung oder Versetzung. Vieles spricht dafür, einen solchen Anspruch nicht zuzulassen, weil sonst die Wertentscheidung des Gesetzgebers, dem Arbeitgeber eine personelle Einzelmaßnahme nur dann zu versagen, wenn die Entscheidung über die Verletzung des Mitbestimmungsrechts oder die Berechtigung des Widerspruchs rechtskräftig ist, konterkariert würde (offengelassen von BAG v. 6.12.1994 – 1 ABR 30/94, juris; BAG v. 13.3.2001 – 1 ABR 34/00, juris, zum Einsatz von Testkäufern; BAG v. 13.3.2007 – 9 AZR 417/06, juris: Stellenpool; BAG v. 11.12.2007 – 1 ABR 73/06, juris, kurzfristige Änderungen des Arbeitsbereichs bei Flugkapitänen).

 

Rz. 1451

Allerdings könnte eine einstweilige (Leistungs-)Verfügung zur Sicherung des gesetzlichen Aufhebungsanspruches nach § 101 S. 1 BetrVG nicht ausgeschlossen sein (so BAG im Beschl. v. 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, juris, Rn 26). Es bleibt offen, unter welchen Voraussetzungen eine solche – die Wertentscheidung des Gesetzgebers, der in § 100 Abs. 3 BetrVG festgelegt hat, dass die personelle Maßnahme zwei Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung endet, konterkarierende – einstweilige Verfügung in Betracht kommen kann (abgelehnt von LAG Schleswig-Holstein v. 10.5.2016 – 1 TaBV 59/15, juris, für den Fall, dass der Arbeitgeber wiederholt kurzfristig Leiharbeitnehmer beschäftigt, so dass die Berechtigung der Zustimmungsverweigerung sowie die Berechtigung der Dringlichkeit der Einstellung im Verfahren nach § 100 Abs. 2 BetrVG nie abschließend gerichtlich geprüft werden kann). Dies dürfte allenfalls dann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber ankündigt, derartige Maßnahmen auch weiter durchführen zu wollen, ohne das Verfahren nach § 100 BetrVG in Anspruch genommen zu haben, sodass von Rechtsmissbrauch auszugehen ist. Im Übrigen gilt: § 101 BetrVG ordnet die Aufhebung ja ausdrücklich auch in dem Fall an, in dem der Arbeitgeber die Einstellung und Versetzung ohne benötigte Zustimmung des Betriebsrats vorgenommen hat, und zeigt damit, dass der betriebsverfassungswidrige Zustand im Regelfall bis zwei Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren nach § 101 BetrVG hinzunehmen ist (GK-Raab, § 101 Rn 24 ff.; Richardi/Thüsing, § 101 Rn 6 f.; a.A. DKW/Bachner/Wenckebach, § 101 Rn 19 ff.; vermittelnd Fitting, § 99 Rn 298, jeweils m.w.N.).

 

Rz. 1452

 

Beispiele

Der Arbeitgeber hat es zu unterlassen, Aushilfskräfte einzustellen, ohne vorher die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen. Der Arbeitgeber hat es zu unterlassen, Mitarbeiter wechselweise in den Abteilungen … einzusetzen, ohne den Betriebsrat gem. § 99 BetrVG zu beteiligen.

 

Rz. 1453

Bei Eingruppierungen gelten besondere Regeln: Der Betriebsrat kann gem. § 101 BetrVG nicht die Aufhebung einer unzutreffenden Eingruppierung verlangen, weil es sich bei der Eingruppierung um einen Akt der Rechtsanwendung handelt (BAG v. 3.5.1994 – 1 ABR 58/93, juris). Der Betriebsrat hat aber einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber e...

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