aa) Allgemeines

 

Rz. 1066

§ 95 BetrVG bestimmt, dass Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrates bedürfen. Die generelle Entscheidung, ob überhaupt eine RL aufgestellt wird, ist bei Betrieben mit weniger als 500 Arbeitnehmern zustimmungsfrei. Hat der Arbeitgeber diese Entscheidung getroffen, so unterliegt die Ausgestaltung der RL der Mitbestimmung des Betriebsrates. Kommt eine Einigung über die Ausgestaltung der RL nicht zustande, kann sie durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden (Abs. 1). Hat ein Betrieb mehr als 500 Arbeitnehmer, so kann der Betriebsrat die Aufstellung von Richtlinien über die bei Maßnahmen des Abs. 1 zu beachtenden fachlichen und persönlichen Voraussetzungen und sozialen Gesichtspunkte verlangen (§ 95 Abs. 2 BetrVG). Im Konfliktfall ersetzt der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

 

Rz. 1067

Sinn dieses Mitbestimmungsrechtes ist die Schaffung einer weitgehenden Transparenz der bei personellen Maßnahmen angewandten Grundsätze und deren Versachlichung. Daher gilt die Vorschrift auch, wenn bei der Aufstellung der Richtlinien Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt (jetzt § 95 Abs. 2a BetrVG, eingefügt durch das BetriebsrätemodernisierungsG vom 14.6.2021).

bb) Begriff

 

Rz. 1068

Unter den Begriff der Auswahlrichtlinien fallen alle Regeln, die der Arbeitgeber seiner personellen Auswahlentscheidung zugrunde legt (BAG v. 27.10.1992 – 1 ABR 4/92, juris). Dem Begriff der Richtlinie steht nicht entgegen, dass diese nur für konkret bevorstehende betriebliche Anlässe gelten soll; sie muss aber abstrakt-generelle Grundsätze enthalten, welche die für die jeweilige personelle Auswahl maßgeblichen fachlichen, persönlichen und sozialen Gesichtspunkte gewichten (BAG v. 26.7.2005 – 1 ABR 29/04, juris). Der Arbeitnehmer soll erkennen können, nach welchen fachlichen und persönlichen Voraussetzungen sowie sozialen Gesichtspunkten er und nicht ein anderer von einer ihn belastenden Personalmaßnahme betroffen wird (LAG Hamm v. 25.9.2015 – 13 Sa 316/15, juris). Solche Richtlinien sind also Entscheidungshilfen, die personelle Einzelmaßnahmen vorherzubestimmen und zu objektivieren helfen. Hierzu zählen Bewertungs- oder Punktesysteme und Negativkataloge, nicht aber die Aufstellung von Anforderungsprofilen für einen bestimmten Arbeitsplatz oder Stellen- und Funktionsbeschreibungen (ausführlich Richardi/Thüsing, § 95 Rn 19 ff.).

cc) Mitbestimmungsrechte

 

Rz. 1069

Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates hängen in erster Linie von der Zahl der Arbeitnehmer des Betriebes ab. Maßgebend für die Feststellung dieser Zahl ist der regelmäßige Bestand der Arbeitnehmer. Leitende Angestellte sind nicht mitzuzählen. In Betrieben mit bis zu 500 Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber das alleinige Initiativrecht zur Aufstellung von Auswahlrichtlinien, muss im Fall ihrer Aufstellung aber die Zustimmung des Betriebsrats einholen. In Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern hat auch der Betriebsrat ein Initiativrecht. Das Mitbestimmungsrecht liegt beim örtlichen Betriebsrat, in Betracht kommt jedoch bei Vorliegen der Voraussetzungen auch die Zuständigkeit von Gesamt- oder Konzernbetriebsrat (Richardi/Thüsing, § 95 Rn 62 ff.). Die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat muss nicht im Wege einer Betriebsvereinbarung erfolgen und bedarf daher keiner Schriftform (Richardi/Thüsing, § 95 Rn 56 f.). Bei Kündigung der Vereinbarung wirkt diese nur in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten nach.

dd) Auswahlgesichtspunkte

 

Rz. 1070

Die Auswahlgesichtspunkte unterliegen nach der Konkretisierung des § 95 Abs. 2 BetrVG insoweit der Mitbestimmung des Betriebsrates, als sie fachliche oder persönliche Voraussetzungen oder soziale Gesichtspunkte betreffen oder Verfahrensregelungen aufstellen (Einzelheiten vgl. Richardi/Thüsing, § 95 Rn 22 ff.).

 

Rz. 1071

Weitere Voraussetzung für die Aufstellung von Richtlinien ist deren rechtmäßiger Inhalt. Sie unterliegen gesetzlichen Bindungen; insb. müssen die Richtlinien den Voraussetzungen des § 75 BetrVG genügen, d.h. eine unterschiedliche Behandlung wegen der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Abstammung oder sonstigen Herkunft, der Nationalität, der Religion oder Weltanschauung, der Behinderung, des Alters, wegen der politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen des Geschlechts oder sexuellen Identität muss unterbleiben. Außerdem sind die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsrechts zu beachten (zur Zulässigkeit von Auswahlrichtlinien mit Bildung von Altersgruppen für betriebsbedingte Kündigungen BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, juris). Das Lebensalter darf trotz des Verbots der Altersdiskriminierung bei der Sozialauswahl berücksichtigt werden (BAG v. 5.11.2009 – 2 AZR 676/08, juris).

 

Rz. 1072

Der Regelungsspielraum für die einzelnen Personalmaßnahmen ist unterschiedlich groß. Während bei Einstellungen ein weiter Ermessensspielraum besteht, verengt sich dieser bei Versetzungen und Umgruppierungen und ist bei Kündigungen besonders e...

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