Rz. 1262

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei wirtschaftlichen Angelegenheiten ist wie folgt konstruiert:

Es muss festgestellt werden, ob im Unternehmen mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind. Entscheidend ist der Zeitpunkt des Entschlusses des Arbeitgebers zur Betriebsänderung (BAG v. 16.11.2004, EzA § 111 BetrVG 2001 Nr. 2), allerdings ist nicht die zufällige Beschäftigtenzahl zu diesem Zeitpunkt, sondern die normale Beschäftigtenzahl, also die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist, maßgeblich, sodass sowohl ein Rückblick als auch Blick in die Zukunft (mit Ausnahme bei Stilllegungen) vorzunehmen ist (BAG v. 22.2.1983, AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 7). Leiharbeitnehmer zählen auch, sofern sie länger als drei Monate im Unternehmen sind (BAG v. 18.10.2012, NZA 2012, 221).
Es muss eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG vorliegen.
Ist dies der Fall, hat der Arbeitgeber den Betriebsrat – ggf. bei dessen Zuständigkeit i.S.d. § 50 BetrVG den Gesamt- oder nach § 58 BetrVG den Konzernbetriebsrat – rechtzeitig und umfassend zu unterrichten (§ 111 S. 1 BetrVG).
Er hat die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat – oder dem zuständigen Gremium – zu beraten.
Er hat zu versuchen, mit dem Betriebsrat – oder dem zuständigen Gremium – einen Interessenausgleich, also eine Vereinbarung über das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung, schriftlich abzuschließen (§ 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG).
Gelingt dies nicht, hat er die BA um Vermittlung zu ersuchen, soweit er nicht unmittelbar die Einigungsstelle anruft (§ 112 Abs. 2 BetrVG).
Ist der Vermittlungsversuch der BA gescheitert oder hat der Arbeitgeber auf ihre Anrufung verzichtet, hat er die Einigungsstelle anzurufen (§ 112 Abs. 2 BetrVG).
Arbeitgeber und Betriebsrat sollen der Einigungsstelle Vorschläge zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten über die Betriebsänderung machen (§ 112 Abs. 3 BetrVG).
Die Einigungsstelle hat eine Einigung über die Betriebsänderung zu versuchen.
Gelingt eine Einigung, ist sie schriftlich niederzulegen; gelingt sie nicht, ist der Versuch des Interessenausgleichs gescheitert.
Hat der Arbeitgeber diese Schritte ordnungsgemäß durchgeführt, kann er die Betriebsänderung durchführen; einer Zustimmung des Betriebsrats hierzu bedarf es nicht.
Hat der Arbeitgeber dieses Beteiligungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt, bevor er die Betriebsänderung durchführt, haben Arbeitnehmer, die infolge der Betriebsänderung entlassen werden oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden, einen Anspruch auf "Nachteilsausgleich" gegen den Arbeitgeber (§ 113 Abs. 3 BetrVG); Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Entlassungen hat die fehlende Durchführung des Beteiligungsverfahrens nicht.

Diesen Nachteilsausgleich schuldet der Arbeitgeber auch, wenn er ohne zwingenden Grund von einem Interessenausgleich abweicht (§ 113 Abs. 1 BetrVG).

 

Rz. 1263

Entstehen durch die Betriebsänderung für die Arbeitnehmer wirtschaftliche Nachteile, so haben sich Arbeitgeber und Betriebsrat über deren Ausgleich oder ihre Milderung zu einigen. Dieser Ausgleich – der denklogisch die Durchführung einer Betriebsänderung voraussetzt – ist vom Gesetzgeber als "Sozialplan" legal definiert (§ 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Soweit es alleine um die Entlassung von Arbeitnehmern – ohne sonstige Umstrukturierung der Betriebsorganisation – geht oder soweit neu gegründete Unternehmen umstrukturieren, ist die Pflicht zum Abschluss des Sozialplanes eingeschränkt, § 112a BetrVG (vgl. Rdn 1264). Kommt eine Einigung über den Sozialplan nicht zustande, so

können Arbeitgeber oder Betriebsrat die BA um Vermittlung ersuchen oder ohne deren Einschaltung die Einigungsstelle anrufen;
bleibt der Vermittlungsversuch der BA erfolglos, können sie die Einigungsstelle anrufen;
sie haben der Einigungsstelle Vorschläge zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit zu machen;
kommt eine Einigung zustande, ist sie schriftlich niederzulegen;
kommt eine Einigung über den Sozialplan nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle über den Sozialplan (§ 112 Abs. 4 BetrVG); hierbei hat sie die wirtschaftliche Vertretbarkeit für den Arbeitgeber und insb. die in § 112 Abs. 5 BetrVG aufgeführten Grundsätze zu beachten.
 

Rz. 1264

Handelt es sich um Betriebsänderungen in Betrieben, die in den ersten 4 Jahren seit ihrer Neugründung erfolgen, entfällt die Sozialplanpflicht (§ 112a Abs. 2 S. 1, 3 BetrVG). Es kommt dabei auf das Alter des Unternehmens, nicht auf dasjenige des Betriebes an (BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 = DB 2007, 63 = EzA § 112a BetrVG 2001 Nr. 2). Ein Betriebserwerber kann in diesen Fällen selbst dann einen Personalabbau sozialplanfrei durchführen, wenn bei einer Betriebsänderung durch den Betriebsveräußerer der Betriebsrat einen Sozialplan hätte erzwingen können (BAG v. 13.6.1989 – 1 ABR 14/88, NZA 1989, 974 = DB 1989, 2335 = BB 1990, 418; BAG v. 22.2.1995, NZA 1995, 697 = DB 1995, 1287 = BB 1995, 1591). Davon unberührt bleibt allerdings d...

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