Rz. 1573

Gem. § 76 Abs. 2 BetrVG besteht die Einigungsstelle aus einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Betriebspartner einigen müssen, und der gleichen Zahl von Beisitzern pro Seite. Bei fehlender Einigung kann Arbeitgeber oder Betriebsrat den Vorsitzenden in einem besonderen Verfahren durch das ArbG bestellen lassen (§ 100 ArbGG). In der betrieblichen Wirklichkeit einigen sich die Betriebspartner in etwa 3/4 der Streitigkeiten ohne Einschaltung des Gerichts auf einen unparteiischen Vorsitzenden (Sieg, in: FS 50 Jahre BAG, S. 1337), sehr häufig auf aktuelle oder ehemalige Arbeitsrichter (Woitaschek, NZA 2021, 324).

 

Rz. 1574

Wichtigste Voraussetzung für die Bestellung des Vorsitzenden ist seine Unparteilichkeit. Grds. scheiden deshalb nahe Angehörige des Arbeitgebers, Angehörige des Betriebes und Verbandsfunktionäre aus. Kommt jedoch eine Einigung auf einen Vorsitzenden zustande, der einer dieser Gruppen angehört, so ist von dessen Unparteilichkeit auszugehen (h.M., vgl. Fitting, § 76 BetrVG Rn 23; Richardi/Maschmann, § 76 Rn 52; GK/Jacobs, § 76 Rn 55: "Indiz").

 

Rz. 1575

Muss das ArbG über die Person des Vorsitzenden entscheiden (§ 76 Abs. 2 S. 2 BetrVG), so ergeht diese Entscheidung – nach Änderung des § 98 ArbGG (jetzt § 100 BetrVG) seit 2.7.1998 und erneuter Änderung durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) v. 10.12.2001 (BGBl I, 3443) – jetzt wieder durch Beschluss des Vorsitzenden des ArbG allein ohne Beteiligung der Ehrenamtlichen Richter (früher § 98, dann § 99 ArbGG, seit der Änderung durch das Tarifeinheitsgesetz vom 3.7.2015 jetzt § 100 BetrVG). Die Einlassungsfrist für einen solchen Antrag beträgt 48 Stunden. Der Beschluss soll innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang an die Beteiligten zugestellt sein, er muss innerhalb von vier Wochen zugestellt sein. Eine Sanktion für die nicht rechtzeitige Zustellung enthält das Gesetz nicht. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass jedenfalls eine Beschwerde ans LAG nach Ablauf der Frist von vier Wochen zulässig wäre, hätte das ArbG bis dahin nicht entschieden, mit der Folge, dass dann das LAG direkt entscheiden müsste. Bei der Bestellung des Vorsitzenden ist besonderes Gewicht auf die Unparteilichkeit zu legen.

 

Rz. 1576

An die Vorschläge der Beteiligten ist das ArbG nicht gebunden. Das ArbG kann auch ohne nachvollziehbare, stichhaltige oder ernsthafte Einwendungen bei einem schlichten "Nein" des weiteren Beteiligten eine andere geeignete Person als Vorsitzenden einsetzen (h.M., zuletzt LAG München v. 13.12.2021 – 3 TaBV 59/21, juris; LAG Nürnberg v. 21.6.2021 – 1 TaBV 11/21, juris; Fitting, § 76 Rn 25, jeweils m.w.N. auch zur Gegenmeinung). Bei der Bestellung eines Richters muss ausgeschlossen sein, dass dieser mit der Überprüfung oder Auslegung eines möglichen Einigungsstellenspruchs befasst sein kann (§ 100 Abs. 1 S. 5 ArbGG). Dies wird in den Geschäftsverteilungsplänen der Arbeitsgerichte regelmäßig ausgeschlossen, wobei darauf geachtet werden muss, dass er eine entsprechende Streitsache nicht nur als Vorsitzender, sondern auch als Vertreter nicht bearbeiten darf (weitere Einzelheiten vgl. GK/Jacobs, § 76 Rn 64 ff.).

 

Rz. 1577

Nach § 100 Abs. 1 S. 2 BetrVG kann der Antrag auf Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Diese eingeschränkte Prüfung soll ein besonders schnelles Verfahren gewährleisten. Offensichtliche Unzuständigkeit liegt vor, wenn die Zuständigkeit im konkreten Streitfall auf den ersten Blick unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint, wenn sich die Streitigkeit sofort erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand subsumieren lässt (Nachweise und weitere Einzelheiten vgl. bei GK-BetrVG/Jacobs, § 76 Rn 70 ff.). Unter den Maßstab der "offensichtlichen Unzuständigkeit" fällt aber nicht die Frage der ordnungsgemäßen Verfahrenseinleitung durch den Betriebsrat und die Beauftragung des Prozessvertreters, die auf einem ordnungsgemäß gefassten Betriebsratsbeschluss basieren müssen (LAG Nürnberg v. 21.6.2021 – 1 TaBV 11/21, juris, strittig). Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen muss das Arbeitsgericht überzeugt sein; der antragstellende Betriebsrat sollte nach Möglichkeit diese Umstände vorsorglich vortragen, damit im Bestreitensfall nicht eine Vertagung der Anhörung nötig ist.

 

Rz. 1578

Kommt nach gerichtlicher Bestellung des Vorsitzenden eine Einigung der Betriebspartner über den Vorsitzenden zustande, so endet das Amt des Bestellten; einer förmlichen Abberufung bedarf es hierbei nicht. Dagegen ist eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit in entsprechender Anwendung der §§ 42, 1032 ZPO bei gerichtlich wie einvernehmlich bestelltem Vorsitzenden möglich; diese Besorgnis der Befangenheit muss sich aber auf erst später bekannt gewordene Umstände stützen (vgl. BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 56/94, juris; BAG v. 11.9.2001 – 1 ABR 5/01, juris; Bauer/Di...

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