Rz. 1329

Vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat vor Durchführung einer Maßnahme, die sich als Betriebsänderung darstellt, schriftlich, in welcher Weise die wirtschaftlichen Nachteile der von dieser Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ausgeglichen oder gemildert werden sollen, so kann darin auch die Einigung der Betriebspartner darüber liegen, dass die Maßnahme wie geplant durchgeführt werden soll. Die Betroffenen haben in diesem Fall keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich, weil es nicht an dem Versuch eines Interessenausgleiches fehlt (BAG v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, NZA 1995, 89 = DB 1994, 2038 = BB 1994, 1936).

 

Rz. 1330

Der Arbeitgeber muss einen erzielten Interessenausgleich einhalten. Er darf nur aus zwingenden Gründen davon abweichen, wenn er nicht nach § 113 Abs. 1 BetrVG nachteilsausgleichspflichtig werden will. "Zwingende Gründe", die ein Abweichen rechtfertigen, sind regelmäßig nur "neue" Gesichtspunkte, die beim Abschluss des Interessenausgleiches nicht oder nicht genügend berücksichtigt werden konnten, da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen oder nicht erkennbar waren. Es muss sich mithin um Gründe handeln, die erst nachträglich entstanden oder bekannt geworden sind. Sie müssen so gravierend sein, dass sie keine andere Wahl lassen. Bei Einhaltung des vereinbarten Interessenausgleiches müsste der Bestand des Unternehmens gefährdet werden (BAG v. 3.10.1989 – 1 AZR 606/88; Fitting, § 113 BetrVG Rn 7 ff.; Uhlenbruck/Berscheid, §§ 121, 122 InsO Rn 115). Der Arbeitgeber ist für das Vorliegen zwingender Gründe darlegungs- und beweispflichtig. Die Abweichung ist von der Planung einer völlig neuen Betriebsänderung zu unterscheiden (LAG Hamm v. 26.8.2004 – 4 Sa 1853/03).

 

Rz. 1331

 

Beispiel

Plötzlich auftretender Rohstoffmangel, Kreditschwierigkeiten, gesetzgeberische Maßnahmen, Absatzkrisen, Insolvenz eines bedeutenden Warenabnehmers oder Vorlieferanten, Ausfuhr- oder Einfuhrbeschränkungen, Störungen der Betriebsanlagen, nicht vorhersehbarer Preisverfall auf dem Markt (LAG Düsseldorf v. 9.5.1968 – 2 Sa 66/68, DB 1968, 1955).

 

Rz. 1332

Kommt es zu einer Nachteilsausgleichspflicht, hat der Arbeitgeber an entlassene Arbeitnehmer eine Abfindung entsprechend § 10 KSchG zu zahlen (§ 113 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG). Der Begriff "Entlassung" umfasst entsprechend § 112a Abs. 1 S. 2 BetrVG auch das aus Gründen der Betriebsänderung veranlasste Ausscheiden aufgrund von Aufhebungsverträgen und Eigenkündigungen. Auch Änderungskündigungen werden erfasst, wenn die Betroffenen das Änderungsangebot ablehnen (Uhlenbruck/Berscheid, §§ 121, 122 InsO Rn 116). Eine Abfindung nach § 113 Abs. 1 BetrVG kommt nicht in Betracht, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung rechtskräftig festgestellt ist.

 

Rz. 1333

Die Höhe der Abfindung bemisst sich nach § 113 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG i.V.m. § 10 KSchG. Hiernach kann als Abfindung grundsätzlich ein Betrag bis zu 12 Monatsverdiensten festgesetzt werden (§ 10 Abs. 1 KSchG). Hat der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden, so kann ein Betrag bis zu 15 Monatsverdiensten festgesetzt werden, hat der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, so kann ein Betrag bis zu 18 Monatsverdiensten festgesetzt werden (§ 10 Abs. 2 KSchG). Bei der Festsetzung der Abfindung hat das Gericht neben dem Lebensalter und der Dauer der Betriebszugehörigkeit die wirtschaftliche Lage des Unternehmers und die zu erwartende Dauer der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers gebührend zu berücksichtigen (BAG v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787 = BB 1997, 1899).

 

Rz. 1334

Als Anlass für auszugleichende Nachteile kommen auch Versetzung und Umgruppierung in Betracht. Auch kann eine ungünstigere Arbeitszeit oder ein anderer Arbeitsort zur Folge haben, dass Kinderbetreuung nur noch mit fremder Hilfe möglich ist. Die dafür aufzuwendenden Kosten sind dann im Wege des Nachteilsausgleiches vom Arbeitgeber zu ersetzen. Derartige Nachteile sind jedoch gem. § 113 Abs. 2 BetrVG nur bis zu einem Zeitraum von 12 Monaten auszugleichen.

 

Rz. 1335

Die Klage des Arbeitnehmers richtet sich auf Zahlung einer Abfindung und ist somit eine Leistungsklage, die als Hilfsantrag mit einer Kündigungsschutzklage verbunden werden kann. Die Klage ist im Urteilsverfahren, nicht im Beschlussverfahren zu verfolgen. Sie ist an die Voraussetzungen des KSchG (sechsmonatige Betriebszugehörigkeit, ausreichende Betriebsgröße, Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist) nicht gebunden. Der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers unterfällt allerdings tariflichen Ausschlussfristen. Der Arbeitnehmer muss darlegen und ggf. nachweisen, dass es sich um eine Betriebsänderung handelt, die gem. §§ 111, 112, 112a BetrVG interessenausgleichspflichtig gewesen ist, dass ein Interessenausgleich vorgelegen hat und dass der Unternehmer von diesem Interessenausgleich abgewichen ist. Der Unternehmer hat offenzulegen und ggf. nachzuweisen, dass er aus zwingenden Gründen von dem In...

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