Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung wegen Abweichung vom Interessenausgleich

 

Normenkette

BetrVG § 113 Abs. 1, 3, §§ 112, 111; ZPO § 139 Abs. 1, § 273 Abs. 3, § 286

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.09.1988; Aktenzeichen 4 b Sa 28/88)

ArbG Heilbronn (Urteil vom 24.03.1988; Aktenzeichen 5 Ca 13/88)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. September 1988 – 4 b Sa 28/88 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung.

Die Beklagte unterhielt in Heilbronn ein Lager in angemieteten Geschäftsräumen. In diesen Räumen befand sich auch eine kleine Werkstatt für Zwecke des Ladenbaus.

Der am 18. März 1933 geborene Kläger war vom 16. Juni 1980 bis 31. März 1988 mit einem monatlichen Verdienst von zuletzt 2.746,30 DM als Schreiner bei der Beklagten im Lager H. beschäftigt. Er war zusammen mit drei Kollegen im Ladenbau eingesetzt. Die Beklagte unterhielt in ihrem Absatzgebiet Süd noch weitere vier Ladenbauwerkstätten in N., M., T. und E. mit insgesamt 20 Beschäftigten einschließlich der Ladenbauer von H.

Im Jahre 1987 beschloß die Beklagte die Schließung des Lagers in H. mit den Betriebsstellen Trockenlager (Kostenstelle 13362), Obst- und Gemüselager (Kostenstelle 13063), Fuhrpark (Kostenstelle 14362) und Werkstatt (Kostenstelle 15162). Letztere betrifft nicht die Abteilung Ladenbau (Kostenstelle 15260), sondern die Kraftfahrzeugwerkstatt. Für die von der Schließung betroffenen ca. 60 Mitarbeiter wurde am 17. September 1987 ein Sozialplan abgeschlossen, der unter anderem vorsieht, daß Mitarbeiter, denen aus Anlaß der Betriebsschließung gekündigt wird, eine Abfindung erhalten. Der Sozialplan hat u.a. folgenden Inhalt:

„Betriebsvereinbarung

Zwischen der … Aktiengesellschaft, Sitz K. und dem … Betriebsrat der … Aktiengesellschaft, Absatzgebiet Süd, Region H., wird nachstehende Vereinbarung geschlossen:

I

  1. Die Beteiligten stimmen darin überein, daß aus wirtschaftlichen Gründen die Schließung des Lagers in H. mit den Betriebsstellen

    • Trockenlager (Kostenstelle 13 362)
    • Obst- und Gemüse-Lager (Kostenstelle 13 063)
    • Fuhrpark (Kostenstelle 14 362)
    • Werkstatt (Kostenstelle 15 162)

    unabwendbar notwendig ist.

  2. Alle erforderlichen personellen Einzelmaßnahmen werden im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes und unter Wahrung der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen durchgeführt.
  3. Als personelle Einzelmaßnahmen kommen in Betracht:

    • * Versetzungen und Umsetzungen
    • * Vorzeitige Verrentungen
    • * Betriebsbedingte Kündigungen

II

Versetzungen

  1. Die Mitarbeiter erhalten, soweit möglich, einen Arbeitsplatz angeboten, und zwar

    • die Mitarbeiter des Trockenlagers im Lager M. und T.
    • die Mitarbeiter des Obst- und Gemüse-Lagers im Obst- und Gemüse-Lager W.
    • die Mitarbeiter des Fuhrparks im Fuhrpark W., N. und T.

    bzw. darüber hinausgehende individuelle Angebote.

  2. Der Mitarbeiter kann nach Zugang der Versetzung sich mit dieser Maßnahme einverstanden erklären oder sie ablehnen.
  3. Nimmt ein Mitarbeiter eine Versetzung an, soll ihm aus betrieblichen Gründen innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach Versetzung nicht gekündigt werden. Kündigungen aus wichtigem Grund sind hiervon unberührt. Der Arbeitnehmer kann innerhalb von 3 Monaten nach Versetzung seine Kündigung aussprechen, ohne seine Ansprüche auf Abfindung zu verlieren.

III

Betriebsbedingte Kündigungen

  1. Mitarbeitern, denen aus Anlaß der unter I., Ziffer 1, genannten Gründen gekündigt wird, erhalten eine Abfindung.
  2. Die Abfindungen werden ermittelt vom Tarifgehalt/Tariflohn einschließlich der gewährten übertariflichen Zulagen (Lohnart 007), der Funktions- und Leistungszulagen (Lohnart 004), der Verheirateten-Zulage (Lohnart 014) sowie der vermögenswirksamen Zulagen (Lohnart 477).
  3. Von dem unter Ziffer 2 ermittelten Basisentgelt erhält der Mitarbeiter je vollendetem Dienstjahr 50 % als Abfindung.
  4. Die Mitarbeiter mit höherem Lebensalter erhalten auf den nach Ziffer 3 ermittelten Abfindungsbetrag folgende Zuschläge:

    • zwischen dem 31. und dem vollendeten 40. Lebensjahr 10 % des Abfindungsbetrages
    • zwischen dem 41. und dem vollendeten 50. Lebensjahr 15 % des Abfindungsbetrages
    • nach dem 51. Lebensjahr 25 % des Abfindungsbetrages

    Amtlich anerkannte Schwerbehinderte erhalten einen Zuschlag von 25 % des Abfindungsbetrages, unabhängig vom Lebensalter.

IV

Schlußbestimmungen

  1. Diese Vereinbarung gilt als Interessenausgleich gemäß § 111 BetrVG.
  2. Diese Vereinbarung tritt am 17. September 1987 in Kraft und endet mit Ablauf des 31. Dezember 1988.”

Im Herbst 1987 beschloß die Beklagte außerdem, ihre fünf Werkstätten für Ladenbau aufzugeben und auf die Z. GmbH mit Sitz in R. zu übertragen. Sowohl die Beklagte als auch die Z. GmbH gehen davon aus, daß insoweit ein Betriebsübergang nach § 613 a BGB vorliegt. Die von dieser Maßnahme betroffenen Mitarbeiter wurden am 3. November 1987 informiert. Am 23. November 1987 teilte die Beklagte dem Kläger und den drei Kollegen in der Abteilung Ladenbau mit, daß die Abteilung Ladenbau zum 1. Januar 1988 auf die Z. GmbH übergehe, die auch in das Arbeitsverhältnis mit ihnen eintreten werde, falls sie keine Einwendungen hätten. Mit Schreiben vom 30. November 1987 widersprachen der Kläger und seine drei Kollegen dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die Z. GmbH. Daraufhin kündigte die Beklagte die Arbeitsverhältnisse am 28. Dezember 1987 unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31. März 1988. Der Betriebsrat hat in seiner Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung des Klägers verlangt, die Leistungen aus dem Sozialplan für die von der Schließung des Lagers H. betroffenen Arbeiter zu gewähren. Dies lehnte die Beklagte ab. Der Kläger und seine drei Kollegen haben keine Kündigungsschutzklage erhoben.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe aus der Betriebsvereinbarung vom 17. September 1987 in Verbindung mit §§ 111 bis 113 BetrVG eine Abfindung in der sich aus der Betriebsvereinbarung ergebenden Höhe zu. Die Beklagte habe während der Sozialplanverhandlungen dem Betriebsrat auf die Frage, was mit den vier Handwerkern in H. geschehe, geantwortet, es ändere sich überhaupt nichts, sämtliche Ladenbauer würden wie gewohnt ihre Tätigkeit am Ort fortsetzen können, eine Betroffenheit werde es nicht geben. Entgegen dieser Versicherung sei er jedoch von dem einheitlichen Entschluß der Beklagten, das Lager in H. zu schließen, ebenfalls betroffen, da eine Beschäftigung bei der Z. GmbH eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen, nämlich die Verlegung des Beschäftigungsortes von H. nach R., nach sich ziehen würde. Deshalb stehe ihm ein Abfindungsanspruch entsprechend dem Sozialplan zu, auch wenn er als Angehöriger der Abteilung Ladenbau nicht aufgeführt sei. Selbst wenn die Abteilung Ladenbau nicht vom Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung vom 17. September 1987 umfaßt sei, müsse er wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage einen Anpassungsanspruch haben und in den Sozialplan miteinbezogen werden. Geschäftsgrund lage für den Sozialplan sei gewesen, daß entsprechend der Erklärung der Beklagten die Arbeitsplätze der Abteilung Ladenbau von der Betriebsänderung nicht berührt würden. Nur deshalb sei die Abteilung Ladenbau nicht ausdrücklich in den Sozialplan miteinbezogen worden. Die Abteilung Ladenbau aber hätte in das Verfahren miteinbezogen werden müssen, wenn die Beklagte auch insoweit eine Betriebsänderung geplant habe. Wenn die Beklagte auch nur wenig später nach den Sozialplanverhandlungen Maßnahmen zur Betriebsänderung auch hinsichtlich der Abteilung Ladenbau treffe, müsse dieses Verhalten als treuwidrig bezeichnet werden. Es könne der Beklagten nicht abgenommen werden, daß sie noch Mitte September 1987 der festen Überzeugung gewesen sei, die Abteilung Ladenbau werde unverändert weitergeführt, schon zwei Monate später aber ihm und seinen Kollegen habe mitteilen können, die Abteilung Ladenbau werde zum 1. Januar 1988 auf die Z. GmbH übergehen. Es sei Sache der Beklagten, detailliert und nachvollziehbar darzulegen, welche nach dem 17. September 1987 neue, nicht vorhersehbare Situation sie dazu gezwungen habe, die Abteilung Ladenbau nicht weiterzuführen. Bei dem kurzen Zeitraum zwischen den betriebsändernden Maßnahmen spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, daß diese auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhten.

Im übrigen hätte der Hausmeister, der ebenfalls nicht vom Sozialplan erfaßt worden sei, eine entsprechende Abfindung erhalten, als das Arbeitsverhältnis mit ihm aufgelöst worden sei.

Die Voraussetzungen für einen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang auf die Z. GmbH lägen nicht vor. Es sei kein Betriebsteil in seiner organisatorischen Einheit von Betriebsmitteln auf den Erwerber übergegangen. Vielmehr sei der Ladenbau bei der Beklagten stillgelegt worden und die Z. GmbH habe lediglich Funktionen übernommen, die bisher im stillgelegten Betrieb ausgeübt worden seien.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung in Höhe von 12.015,06 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Sozialplan vom 17. September 1987 sei ausschließlich aus Anlaß der Schließung der namentlich aufgeführten Betriebsstellen abgeschlossen worden. Da der Kläger in keiner dieser Betriebsstellen beschäftigt gewesen sei, könne er keinen Anspruch aus dem Sozialplan herleiten.

Dem Kläger sei nicht wegen der Schließung des Lagers in H. gekündigt worden, sondern weil er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Z. GmbH widersprochen habe. Erst nach Abschluß des Sozialplans vom 17. September 1987 habe sie sich mit dieser Firma geeinigt, daß diese alle fünf Ladenbauabteilungen übernehme. Dazu gehörten die Werkstatteinrichtungen, Werkzeuge sowie 13 in den Abteilungen Ladenbau eingesetzte Fahrzeuge.

Der Betriebsübergang der Abteilung Ladenbau habe mit der Schließung des Lagers H. und dem in diesem Zusammenhang abgeschlossenen Sozialplan nichts zu tun. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen über den Sozialplan bzw. bei seinem Abschluß habe es noch keine Verhandlungen zwischen ihr und der Z. GmbH gegeben. Ebenso wie in bezug auf andere Mitarbeiter, die nicht unter den Sozialplan gefallen und für die Arbeitsplätze außerhalb des verkauften Areals geschaffen worden seien, sei sie bis zum Abschluß des Sozialplans davon ausgegangen, auch für den Kläger und die anderen drei betroffenen Mitarbeiter könne ein anderer „Stützpunkt” in H. gefunden werden, von wo aus sie ihre Tätigkeit hätten antreten können. Insofern sei es auch nicht richtig, daß sie anläßlich der Sozialplanverhandlungen erklärt habe, für den Kläger und seine drei Kollegen ändere sich überhaupt nichts, da von der Aufrechterhaltung der Werkstätte auf dem Areal des ehemaligen Lagers nicht habe ausgegangen werden können.

Da sie neben den eigenen Handwerkern insbesondere bei der Eröffnung oder dem Umbau von Läden weitere Ladenbaufirmen habe einsetzen müssen, die Zusammenarbeit von eigenen und fremden Mitarbeitern einen kostenintensiven Verwaltungsaufwand verursacht und eine umfangreiche Koordination erfordert und dadurch die Abteilung Ladenbau unwirtschaftlich gemacht habe, seien aus wirtschaftlichen Gründen in allen Absatzgebieten, in denen potente Ladenbauunternehmen vorhanden gewesen seien, die eigenen Abteilungen Ladenbau abgeschafft worden. Am 14. Oktober 1987 habe deshalb der damalige Personalleiter, Herr S., im Auftrag des Vorstandes der c AG zusammen mit dem Leiter der Abteilung Objekte, Herrn Sch, mit den Herren C. und R. Z. Verhandlungen bezüglich der Übernahme der Abteilung Ladenbau geführt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ist mit den Parteien auch die Möglichkeit erörtert worden, daß der vom Kläger geltend gemachte Abfindungsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG begründet sein könnte. Die Beklagte hat insoweit im wesentlichen darauf hingewiesen, daß einem solchen Anspruch nicht nur der erst nach Abschluß des Sozialplans gefaßte Entschluß zur Veräußerung der Abteilung Ladenbau entgegenstehe, sondern auch, daß es sich bei dieser Abteilung nicht um einen wesentlichen Betriebsteil im Sinne des § 111 BetrVG handele.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch aus dem Sozialplan vom 17. September 1987 weder in direkter noch in entsprechender Anwendung zu, da der Kläger und seine drei Arbeitskollegen in der Abteilung Ladenbau nicht nur nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Betriebsvereinbarung, sondern nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien auch nach dem beiderseitigen Willen der Betriebspartner keine Ansprüche aus dem Sozialplan haben sollten.

Der Senat folgt dem Berufungsgericht auch in der Annahme, die Geschäftsgrundlage für den Sozialplan sei nicht entfallen. Die Nichteinbeziehung der Abteilung Ladenbau in den Sozialplan vom 17. September 1987 stellt die gemeinsamen Vorstellungen der Betriebspartner über die Folgen der Schließung des Lagers für die im Sozialplan aufgeführten Mitarbeiter und die dafür vorgesehenen Ausgleichsleistungen nicht in Frage. Sie führt auch nicht dazu, daß einer der vertragsschließenden Parteien ein weiteres Festhalten an den vereinbarten Verpflichtungen unzumutbar geworden wäre. Davon abgesehen könnte eine wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage erforderliche Anpassung nicht zu einer Einbeziehung des Klägers in den Kreis der Anspruchsberechtigten führen. Allenfalls hätte der Betriebsrat für die Ladenbauer einen weiteren Sozialplan durchsetzen können, als sich herausstellte, daß die Schließung des Lagers entgegen der ursprünglichen Vorstellung der Betriebsparteien mit erheblichen Nachteilen auch für die Ladenbauer verbunden war. Von dieser Möglichkeit hat der Betriebsrat aber keinen Gebrauch gemacht.

II.1. Dagegen hat der Senat dem Landesarbeitsgericht nicht in der Annahme folgen können, der Anspruch des Klägers sei nach § 113 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 BetrVG begründet. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, da die Beklagte hinsichtlich der Veräußerung der Abteilung Ladenbau des stillgelegten Lagers in H. an die Z. GmbH in R. eine Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG durchgeführt haben soll, ohne insoweit einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Folge der Veräußerung sei die Entlassung des Klägers gewesen.

Für die vom Landesarbeitsgericht befürwortete Anwendung des § 113 Abs. 3 BetrVG fehlt vorliegend eine entscheidende Voraussetzung dieser Anspruchsgrundlage.

Nach § 113 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und wenn infolge dieser Maßnahme der Arbeitnehmer entlassen wird oder andere wirtschaftliche Nachteile erleidet.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei infolge der Verlegung der Ladenbauabteilung, die im Zusammenhang mit der Stillegung des übrigen Betriebes in H. zu sehen sei, entlassen worden. § 113 Abs. 3 BetrVG verlangt aber einen Zusammenhang zwischen Betriebsänderung und Entlassung. Entscheidend kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer infolge der Betriebsänderung entlassen wurde und dadurch seinen bisherigen Arbeitsplatz verloren hat (BAGE 49, 160, 168 = AP Nr. 13 zu § 113 BetrVG 1972, zu I 5 der Gründe). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn mit dem Landesarbeitsgericht als Betriebsänderung, infolge der der Kläger entlassen worden ist, die Verlegung der Abteilung Ladenbau des Betriebes H. angesehen wird. Mit der Revision hat die Beklagte insoweit zu Recht darauf hingewiesen, daß dann, wenn vorliegend die Betriebsänderung in der Verlegung des Betriebsteils erblickt werde, diese Verlegung durch die Erwerberin, die Z. GmbH, erfolgt sei. Wird die Verlegung vom ursprünglichen Arbeitgeber vorgenommen, so führt dies üblicherweise nicht zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen; der Betriebserwerber erwirbt den verlegten Betrieb am neuen Ort. Verlegt der ursprüngliche Arbeitgeber den Betrieb vor der Veräußerung nicht, so kann ihn der Erwerber erst nach dem Erwerb vom ursprünglichen Ort verlegen (vgl. Urteil des Zweiten Senats vom 12. Februar 1987 – 2 AZR 247/86 – AP Nr. 67 zu § 613 a BGB, zu II 1 b der Gründe). Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, daß die Beklagte die Abteilung Ladenbau des Betriebes H. vor der Veräußerung an die Z. GmbH verlegt hat.

2. Das vom Landesarbeitsgericht gefundene Ergebnis stellt sich aber gleichwohl als richtig dar (§ 563 ZPO). Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 113 Abs. 1 BetrVG.

Ob im vorliegenden Falle überhaupt eine Betriebsteilveräußerung i.S. von § 613 a BGB vorliegt oder die Beklagte den Betrieb H. als ganzen zum 31. Dezember 1987 stillgelegt hat, kann dahinstehen.

a) Unstreitig hat die Beklagte das gesamte Lager in H. geschlossen und wegen der hiermit verbundenen Betriebsänderung im Rahmen der Betriebsvereinbarung vom 17. September 1987 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart. Aus der abschließenden Aufführung der von der Schließung des Lagers betroffenen Kostenstellen ergibt sich, daß der Interessenausgleich vorsah, die Betriebsänderung so durchzuführen, daß Ladenbauer und Hausmeister durch die Schließung des Lagers keine Nachteile erlitten. Dem entspricht der Vortrag des Klägers und der Beklagten, bei den Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan sei zwar allen Beteiligten klar gewesen, daß eine weitere Tätigkeit der Ladenbauer auf dem Gelände des Lagers nicht in Frage kam, sie aber dennoch nicht von der Betriebsänderung betroffen sein sollten, weil nach Vorstellung der Beklagten sie von einem anderen Stützpunkt in H. zu den gleichen Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden sollten. Gedacht hatte die Beklagte an die Möglichkeit, die Ladenbauer auf dem Gelände eines …-Marktes in H. Fertiggaragen herstellen zu lassen.

b) Weicht nun der Unternehmer von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, so können nach § 113 Abs. 1 BetrVG Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, den Arbeitgeber zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen; § 10 des KSchG gilt entsprechend.

Vorliegend ist die Beklagte von dem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abgewichen. Ob ein zwingender Grund vorliegt, muß sich aus den Umständen des einzelnen Falles ergeben. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Zwingender Grund ist mehr als wichtiger Grund, unter dem man allgemein versteht, daß dem Betreffenden nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist, an einer Vereinbarung festgehalten zu werden. Es muß so sein, daß vom Standpunkt eines verantwortungsbewußten Unternehmers dieser eigentlich nicht anders handeln konnte, als die Maßnahme entgegen der getroffenen Vereinbarung vorzunehmen (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 113 Rz 9; Fabricius, GK-BetrVG, 2. Bearbeitung, § 113 Rz 15; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 113 Rz 3; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 113 Rz 4).

Die Beklagte hat die Erforderlichkeit der Übertragung des Ladenbaus auf die Z. GmbH damit begründet, sie habe diese Firma seit acht Jahren bei Neu- und Umbauten eingesetzt. Die Mitarbeiter der Z. GmbH hätten ständig bei den Neu- und Umbauten mit den Mitarbeitern der Beklagten zusammengearbeitet. Hieraus sei ein kostenintensiver Verwaltungsaufwand entstanden, weil die Leistungen der Handwerker getrennt zu erfassen und abzurechnen gewesen seien. Außerdem sei eine umfangreiche Koordination des Einsatzes der Handwerker beider Firmen erforderlich gewesen. Dies alles sind Gründe, die lange vor Abschluß des Interessenausgleichs vorlagen und schon deshalb kein zwingender Grund dafür sein können, die Vereinbarung, die Ladenbauer in H. dort weiterzubeschäftigen, nicht einzuhalten. Daneben mag der zusätzliche Verwaltungsaufwand bei der gleichzeitigen Beschäftigung von betriebsexternen und eigenen Handwerkern ein vernünftiger Grund für eine Veräußerung der Betriebsabteilungen des Ladenbaus darstellen. Dieser vermehrte Kostenaufwand ist aber auch nicht im entferntesten ein zwingender Grund im Sinne von § 113 Abs. 1 BetrVG, es kann gerade nicht gesagt werden, daß ein verantwortungsbewußter Unternehmer überhaupt nicht anders handeln könnte als unverzüglich nach Vereinbarung des Interessenausgleichs von dessen Einhaltung Abstand zu nehmen.

c) Der Kläger und die drei anderen Ladenbauer sind auch infolge dieser Abweichung entlassen worden. Hätte die Beklagte den Interessenausgleich eingehalten, wären die vier Ladenbauer nach wie vor von einem Stützpunkt in H. aus eingesetzt worden. Mit dem Entschluß, die Ladenbauer nicht mehr zu beschäftigen, sondern den Betriebsteil Ladenbau des Lagers H. an die Z. GmbH zu „veräußern” steht die Beendigung der Arbeitsverhältnisse des Klägers und der anderen drei Ladenbauer in ursächlichem Zusammenhang. Nachdem der Kläger und die anderen drei Ladenbauer dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf die Z. GmbH wegen der ganz erheblichen Entfernung zwischen H. und R. und der langen Fahrtzeit widersprochen hatten, hat die Beklagte ihnen zum 31. März 1988 gekündigt.

d) Die Prozeßrügen der Beklagten sind nicht durchschlagend. Soweit die Beklagte die Verletzung von § 139 Abs. 1 und § 278 Abs. 3 ZPO rügt, ist darauf hinzuweisen, daß das Landesarbeitsgericht die Parteien darauf hingewiesen hat, daß als Anspruchsgrundlage auch § 113 BetrVG in Betracht kommt. Davon abgesehen trägt die Revision nicht vor, was sie dargelegt hätte, wenn ihr für den neuen rechtlichen Gesichtspunkt eine weitere Schriftsatzfrist eingeräumt worden wäre. Soweit die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe § 286 ZPO verletzt, kann sie schon deshalb keinen Erfolg haben, weil für die Entscheidung des Senats nicht erheblich war, ob der Schließung des restlichen Lagers eine einheitliche Entscheidung zugrunde lag. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 565 a ZPO abgesehen.

3. Gegen die Höhe der Abfindung bestehen keine Bedenken. Sie hält sich im Rahmen der Höchstgrenze von § 10 KSchG. Sie entspricht im übrigen der Höhe der Abfindung, die die Betriebsvereinbarung vom 17. September 1987 für vergleichbare Fälle gewährt, nämlich für die Arbeitnehmer, die infolge der Schließung des Lagers H. entlassen worden sind oder nach Versetzung in einen anderen Betrieb den Arbeitsvertrag innerhalb von drei Monaten selbst gekündigt haben. Die vom Berufungsgericht zugesprochene Höhe der Abfindung hält sich auch im Rahmen der Wertung der Beklagten für vergleichbare Fälle: Der Hausmeister, der ebenfalls nicht von der Schließung des Lagers betroffen sein sollte, bei dem die Beklagte aber ebenfalls vom Interessenausgleich abgewichen ist, hat eine Abfindung in der Höhe erhalten, wie sie der Sozialplan für die von der Betriebsänderung Betroffenen vorsieht. Es ist daher rechtlich unbedenklich, wenn das Landesarbeitsgericht für die Ladenbauer, bei denen ebenfalls ohne zwingenden Grund vom Interessenausgleich abgewichen worden ist, für die Höhe der Abfindung auf die Wertungen der Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung vom 17. September 1987 zurückgreift.

Dementsprechend war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Weller, Dr. Steckhan, Andersch, Rösch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1015661

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